Lange versuchte die SPD ihr negatives Image als Hartz-IV-Partei abzuschütteln. Bereits Anfang 2019 sprach Andrea Nahles davon „Hartz IV hinter sich zu lassen“. Nahles ist inzwischen Chefin der Bundesagentur für Arbeit und ein Referentenentwurf zum neuen Bürgergeld liegt vor. Vorweg: Dass sich etwas an den Sanktionen nach dem Sanktionsmoratorium bis Ende Juli 2023 ändert, diese Hoffnung darf begraben werden. Sanktionen bei Pflichtverletzungen gegen die Eingliederungsvereinbarung werden auch weiterhin mit maximal 30 Prozent über drei Monate möglich sein. Wer sich bereit erklärt die Mitwirkungspflichten nachträglich zu erfüllen (z.B. Bewerbungen zu schreiben o.ä.) oder glaubhaft erklärt den Pflichten nachzukommen, kann darauf hoffen die Leistungsminderung aufgehoben zu bekommen. Innerhalb der ersten sechs Monate gilt nach Abschluss eines Kooperationsplanes (Eingliederungsvereinbarung) die sogenannte Vertrauenszeit, in denen ebenso keine Sanktionen möglich sind. Meldeversäumnisse werden zukünftig statt drei auf einen Monat mit zehn Prozent gekürzt. Sanktionen auf Mietkosten werden wie in der Vergangenheit ausgenommen. Ebenso verschärfte Sanktionen gegen unter 25-Jährige. Sie erhalten stattdessen Beratungs- und Unterstützungsangebote durch die Integrationsfachkräfte. 

Auch auf eine mögliche Regelbedarfserhöhung geht der Entwurf nicht ein. Hierzu hat sich Hubertus Heil (SPD) bereits im Juli dazu geäußert und sprach von einer „deutlichen Erhöhung“ sowie davon, die Berechnungsart der Regelsätze neu zu berechnen. Er geht von einer Erhöhung von 40 bis 50 Euro zum Jahr 2023 aus. Leider bleibt der Referentenentwurf leer zum Hinzuverdienst bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (SGB XII). Eine Anpassung bleibt aus. Einzig allein bleiben das Mutterschaftsgeld und Einkommen von Schülerinnen und Schüler in Höhe von bis zu 520 Euro anrechnungsfrei. Neu ist, dass der Vermögensschonbetrag von 5.000 Euro auf 10.000 Euro angehoben wird.

Chancengerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe

Das neue Bürgergeld möchte den Leistungsberechtigten mit Arbeitslosengeld II mehr „Chancengerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe“ ermöglichen. Ziel ist ein Sozialstaat, der die Bürgerinnen und Bürger absichert und zugleich dabei unterstützt und ermutigt, ihre Potenziale zu entwickeln und neue Chancen im Leben zu ergreifen“. Wie die Agenda 2010 begründet auch das neue Bürgergeld eine „bedeutende sozialpolitische Reform“. So sollen „Menschen im Leistungsbezug sich stärker auf Qualifizierung, Weiterbildung und Arbeitsuche konzentrieren können, die Potenziale der Menschen und die Unterstützung für eine dauerhafte Arbeitsmarktintegration stärker im Fokus stehen“. Ein Schritt dahin ist die Abschaffung des bisherigen Vermittlungsvorrangs. Vor der Aufnahme einer kurzfristigen Erwerbstätigkeit steht insbesondere bei Ungelernten eine Qualifizierung oder Ausbildung im Mittelpunkt. Diesen Punkt bewerte ich positiv, da gerade die „schnelle Vermittlung“ häufig in unzufriedene Jobs führte. Vor allem waren sie wenig nachhaltig und sehr gerne im Niedriglohnsektor. Für eine berufsabschlussbezogene Weiterbildung gibt es ein monatliches Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro. Eine Umschulung kann nun auch in drei Jahren statt in zwei Jahren absolviert werden, wenn es nötig ist. Der soziale Arbeitsmarkt nach § 16i SGB II wird unbefristet. Bislang war eine Befristung bis Ende 2024 vorgesehen. 

Aus Eingliederungsvereinbarung wird ein Kooperationsplan

Alle Maßnahmen werden zukünftig nicht mehr in eine Eingliederungsvereinbarung geschrieben, sondern in einem, zwischen Leistungsberechtigten und Jobcenter, gemeinsam erarbeiteten Kooperationsplan. Ziel dieses Kooperationsplanes ist eine „Zusammenarbeit auf Augenhöhe und Vertrauen“. Dazu wird in den ersten sechs Monaten auf eine Rechtsfolgebelehrung und deren Sanktionsmöglichkeiten verzichtet. Das wird sogar garantiert. Erst wenn nach den ersten sechs Monaten der Vertrauenszeit Absprachen zu Mitwirkungspflichten (Eigenbemühungen, Maßnahmeteilnahmen und Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge) nicht eingehalten werden, sollen diese Pflichten rechtlich verbindlich durch Aufforderungen mit Rechtsfolgenbelehrungen festgelegt werden“.

Vertrauenszeit

Wird der Kooperationsplan erstellt beginnt die Vertrauenszeit. Diese gilt für sechs Monate. Eine Sanktion (Leistungsminderung) ist in der Zeit nicht möglich. Werden Vereinbarung durch die leistungsberechtigte Person ohne wichtigen Grund nicht eingehalten, endet die Vertrauenszeit. Nach sechs Monaten soll im gemeinsamen Gespräch mit dem Jobcenter das weitere Vorgehen besprochen werden. Dann erfolgen auch die Rechtsfolgebelehrungen im Kooperationsplan. Hält die leistungsberechtigte Person innerhalb von drei Monaten nun diese Absprachen ein, erfolgt eine neue Vertrauenszeit von wiederum sechs Monate. 

Vermögen

Wie schon während der Corona-Pandemie wird auch in Zukunft in den ersten zwei Jahren (Karenzzeit) das Vermögen, sofern es nicht erheblich ist, nicht angetastet. Somit steht der leistungsberechtigten Person 60.000 Euro zu und jeder weiteren Person in der Bedarfsgemeinschaft 30.000 Euro. Nicht angerechnet werden angemessener Hausrat, PKW für jede erwerbsfähige Person in der Bedarfsgemeinschaft, Versicherungen der Altersvorsorge, ein selbst genutztes Haus mit einer Wohnfläche von bis zu 140 Quadratmetern oder eine Eigentumswohnung von bis zu 130 Quadratmetern. Leben mehr als vier Personen im Haushalt erhöht sich die Wohnfläche jeweils um 20 Quadratmeter für jede weitere Person. Vermögen, welches dafür bestimmt ist ein Haus oder eine Eigentumswohnung zu beschaffen in dem Menschen mit Behinderung oder pflegebedürftige Menschen einziehen sollen ist ebenfalls geschützt, sofern dieses Vermögen angemessen ist. Ebenso sind Sachen und Rechte geschützt, wenn ihre Veräußerung für die betroffene Person eine besondere Härte bedeuten würde.

Miet- und Eigentumskosten

Die Miet- und Heizkosten werden innerhalb der ersten zwei Jahre (Karenzzeit) in tatsächlicher Höhe übernommen. Dies gilt für Mieterinnen und Mieter als auch für Wohneigentum. Das Grundbedürfnis „Wohnen“ und die Lebensleistung der Menschen sollen damit anerkannt und geschützt werden. Gleichzeitig dient diese Regelung als Anreiz die Hilfebedürftigkeit innerhalb der ersten zwei Jahre zu beenden. Wird keine neue Tätigkeit gefunden, prüft das Jobcenter die Aufwendungen auf ihre Angemessenheit. Innerhalb von bis zu sechs Monaten müssen dann die Kosten gesenkt werden. 

Bagatellgrenze

Die Bundesregierung geht von rund 1.100.000 Bagatellfällen pro Jahr aus. Wir erinnern uns: Es gab Fälle, da forderten die Jobcenter auch einen Cent zurück. Um hier die Jobcenter zu entlasten werden Forderungen unter 50 Euro nicht mehr eingetrieben. Damit möchte man etwa 15 Millionen Euro jährlich sparen.

Ortsabwesenheit

Die Ortsabwesenheit ist ein häufiges Streitthema im Jobcenter. Ohne Erlaubnis darf man sich bisher im Nahbereich bewegen. Sichergestellt sein sollte jedoch, dass täglich nach der Post geschaut werden konnte, um so Konflikten mit dem Jobcenter aus dem Weg zu gehen. Wer in den Urlaub fahren will (bis zu 21 Tagen jährlich möglich) muss diesen beim Jobcenter beantragen. Aus der Ortsabwesenheit wird nun die Erreichbarkeit. Auch das neue Bürgergeld erwartet, dass Leistungsberechtigte werktäglich die „Mitteilungen und Aufforderungen des Jobcenters zur Kenntnis nehmen könnenRegelungen, die keinen vorteilhaften Einfluss auf die Eingliederung haben, wie die Pflicht, werktäglich Briefpost persönlich zur Kenntnis nehmen zu können, werden abgeschafft“. Die Erreichbarkeit soll damit modernisiert und der modernen Kommunikation angepasst werden. Der nähere Bereich bedeutet, dass das zuständige Jobcenter, ein möglicher Arbeitgeber, eine Integrationsmaßnahme in einer für den Vermittlungsprozess angemessenen Zeitspanne und ohne größeren Aufwand zu erreichen ist. Das kann auch das grenznahe Ausland sein. 

Ferienjobs für Schülerinnen und Schüler

Bisher konnten Schülerinnen und Schüler für maximal vier Wochen bis zu 2.400 Euro pro Kalenderjahr in den Schulferien dazuverdienen ohne Anrechnung auf die Leistung der Bedarfsgemeinschaft. Neu ist, dass es nun keine Obergrenze mehr gibt. 

Nebentätigkeit als Schülerin, Schüler, Auszubildende, Erwerbseinkommen von Studierenden (gilt auch für das SGB XII)

Um den Anreiz einer Erwerbstätigkeit oder Ausbildung zu erhöhen wird der Grundfreibetrag auf 520 Euro erhöht.

Mutterschaftsgeld (gilt auch für das SGB XII)

Mutterschaftsgeld nach § 19 des Mutterschutzgesetzes wird zukünftig nicht als Einkommen angerechnet. 

Schlichtungsverfahren

Gerade bei den Eingliederungsvereinbarungen gibt es immer wieder Unstimmigkeiten. Unabhängige Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner finden sich kaum in den Jobcentern (Ombudsleute). Nach den neuen Regelungen soll es nun eine Schlichtungsstelle geben. Auf Verlangen einer oder beider Seiten kann ein Schlichtungsverfahren eingeleitet und so ein gemeinsamer Lösungsvorschlag entwickelt werden. Beteiligte können „Mitarbeitende oder ein Mitarbeiter des Jobcenters oder eine externe Vertrauensperson“ sein. Das Verfahren soll maximal vier Wochen betragen. Auch hiermit möchte man „Respekt, Vertrauen und Umgang auf Augenhöhe gesetzlich stärker in den Fokus rücken“.

Anmerkung

Dass die Sanktionen bestehen bleiben ändert leider nichts am Begriff Bürgergeld oder Hartz IV. Die Sanktionen sind der Inbegriff von Hartz IV, ebenso die zu niedrigen Regelsätze. Weiße Ware (Waschmaschine o.ä.) sind weiterhin ausgeschlossen. Medizinische Bedarfe, wie Brillen sind auch nicht erwähnt. Das sind jedoch Grundbedarfe, die von den jetzigen Regelbedarfen nicht bezahlbar sind. Auch nicht, wenn dieser um 50 Euro angehoben wird. All dieses schließt die Menschen aus der gesellschaftlichen Teilhabe aus. Zusammengefasst sind die bisherigen Veränderungen viele bürokratische Entlastungen für die Jobcenter. Insbesondere für die Leistungsabteilungen. Das ist aufgrund deren Arbeitsüberlastungen zu begrüßen. Vielleicht gibt es dann schnellere Bescheide. Um einen erfolgreichen Kooperationsplan zu erstellen muss über die Jahre verloren gegangenes Vertrauen wieder aufgebaut werden. Über 15 Jahre Hartz IV prägen. Ein paternalistisches System prägt. Vielleicht helfen die sechs Monate Vertrauenszeit. Das wird sich zeigen. Allerdings stellt sich mir schon die Frage, warum eine Vertrauenszeit es nötig hat in Schüben mit Sanktionen zu drohen und bei Einhaltung von Pflichten innerhalb einer bestimmten Frist diese wieder aufzuheben. Zuckerbrot und Peitsche. Somit bleibt der Erziehungsgedanke gegenüber mündigen Bürgerinnen und Bürgern bestehen. Der Referentenentwurf hat viele neue Begriffe. Schicker macht es ihn damit nicht vollumfänglich. Die erhöhten Hinzuverdienste von Schülerinnen, Schülern, Auszubildenden und Studierten sind ein Pluspunkt. Auf diese Art und Weise wird zumindest wertgeschätzt, dass sie ihr Geld behalten dürfen, was sie in der Ausbildung oder in einer Nebentätigkeit verdienen. Nun gut, es ist der erste Aufschlag. Im September soll es wohl weitergehen. Warten wir den zweiten Aufschlag ab. Es ist noch viel Luft nach oben.