#IchBinArmutsbetroffen ist ein viraler Hashtag auf Twitter, der zunächst am 17. Mai des Jahres von Anni W. (@Finkulasa), einer alleinerziehenden Mutter, ins Leben gerufen wurde:

#IchBinArmutsbetroffen Hi, ich bin Anni, 39 und habe die Schnauze voll! Ich lebe von HartzIV und es reicht ganz einfach nicht! Nein, ich kann keine weiteren Kosten senken.

Dieser Tweet verbreitete sich schnell und viele folgten ihr. Insbesondere folgten und folgen Lebensgeschichten der eigenen Armut und Erfahrungen daraus. Unterstützung fand Anni W. in SorgeWeniger, einer Stiftung aus Amsterdam, die praktische Hilfe durch das Sammeln von Geldspenden leistet. Es ist bisher noch eine kleine Bewegung, die sich hauptsächlich aus eigenen Armutsgeschichten und deren Nöten zusammensetzt. In einigen Städten, wie Berlin, Bochum, Hamburg, Köln oder München treffen sich seit Juni von Armut Betroffene und Unterstützerinnen und Unterstützer zu einem Flashmob, um auf die gravierende Armut in Deutschland aufmerksam zu machen. Der Paritätische hat gerade aktuell darauf aufmerksam gemacht, dass „13,8 Millionen Menschen zu den Armen gerechnet werden müssen“. Sie schreiben weiter:

Auffallend sei ein ungewöhnlicher Zuwachs der Armut unter Erwerbstätigen, insbesondere Selbständiger (von 9 auf 13,1 Prozent), die während der Pandemie in großer Zahl finanzielle Einbußen zu erleiden hatten. Armutshöchststände verzeichnen auch Rentner*innen (17,9 Prozent) sowie Kinder und Jugendliche (20,8 Prozent).

Aus dem Tweet und aus der daraus entstandenen Bewegung entstand in einer kleinen Gruppe eine Petition mit einem Offener Brief und Forderungen an die Bundesregierung. Die Petition hat mit heutigen Stand rund 17.660 Unterschriften erreicht. Eine Reaktion kam bisher von Seiten der Bundesregierung nicht. Die Partei DIE LINKE, Janine Wissler hat die Bewegung im Bundestag erwähnt. Die Medien haben über die Bewegung meistens in der Form berichtet, dass die eigenen Lebensgeschichten der von Armut betroffenen Menschen erzählt wurden. Politische, strukturelle oder gar systemische Hintergründe wurden bisher wenig erwähnt. Obwohl die Armut ständig steigt, die Tafeln rund 1,64 Millionen Kunden aufweisen und man noch nicht mal wirklich von der verdeckten Armut spricht. Auch ist Armut divers. Ob ich z.B. nun im Niedriglohnsektor arbeite, Angehörige pflege, als Erwerbsgeminderte/r in der Grundsicherung lande oder mit meiner Armutsrente nicht auskomme: Gegen Armut hilft nur Geld. Wer Geld hat, für den ist es leichter, sich irgendwo zu beteiligen, sich ein Netzwerk aufzubauen, sich Internet leisten zu können, um auf diese Weise für seine Belange einzutreten. Wer das nicht hat, muss sich darauf verlassen können vertreten zu werden. Auch aus diesem Grund entstand der Offene Brief. Da man viel lieber auf Emotionen setzt, habe ich, und das gebe ich zu, die politische Geduld verloren und die Forderungen politisch ein wenig herausgearbeitet. Natürlich können diese um vieles ergänzt werden. Meine Ausarbeitungen habe ich täglich auf Twitter – pro Forderung – gesetzt und je nach politischem Ressort auch entsprechende Politikerinnen oder Politiker „getagged“. 

Meinen ersten Tweet dazu verfasste ich so:

Nicht das ich eine ungeduldige Frau wäre, aber nun wissen wir, dass #Armut Leid bedeutet und viel zu wenig Geld im Geldbeutel. Komme ich doch mal wieder zurück zu den Forderungen des Offenen Briefes. Jeden Tag nun eine Forderung. Ohne Verhandlungsbasis.

„Stichwort Energiekrise: Eine unbürokratische und nachhaltige Entlastung bei den Energiekosten für Menschen in #Armut„.

Die Kosten wachsen den Menschen über den Kopf – unabhängig vom Status (Ausnahmen bestätigen die Regel). Entlastungspakete sind gut, lösen aber nicht dauerhaft das eigentliche Problem und sind somit nur kurzweilig. Insbesondere erreichen sie nicht alle. Eine unbürokratische Hilfe hat z.B. Tacheles e.V. für die Bereiche SGB II/XII und AsylbLG erarbeitet: Danke. Die nächste Problematik besteht in der Übernahme der, mal einfach ausgedrückt, Betriebskosten im Bereich SGB II/XII. Diese werden im Rahmen der Kosten der Unterkunft zumeist mit einer Pauschale pro Quadratmeter regional festgelegt. Aufgrund der nun bestehenden steigenden Kosten müssen auch diese unbedingt sofort angepasst werden, umso einen realistischen Kostensatz zu haben, damit hohe Nachzahlungen vermieden werden. Strom: Da gibt es nur einen Weg: Übernahme der tatsächlichen Stromkosten. Verivox hat errechnet, dass die „Strompauschale im Schnitt 32 Prozent zu niedrig“ ist.“

21.6.22

Einen sonnigen Morgen an die Damen @lisapaus @Ricarda_Lang und die Herren @hubertus_heil @Bundeskanzler @c_lindner. Heute komme ich zur 2. Forderung des Offenen Briefes.

„Die Pflege familiärer und sozialer Beziehungen ist soziales Existenzminimum und muss in der Bemessung der Regelsätze berücksichtigt werden.“

Nun wäre es ein einfachstes eine Summe X zu nennen und der Tweet wäre fast zu Ende. Aber so einfach ist es nicht. Dazu habe ich noch bei den späteren Forderungen Gelegenheit. Diese 2. Forderung geht tiefer. Wer arm ist, ist von sozialer Ausgrenzung bedroht oder bereits ausgegrenzt. Es ist eine Folge von #Armut. Eine Ausgrenzung liegt immer dann vor, wenn die soziale Inklusion nicht gegeben ist. Die Ausgrenzung findet gezwungenermaßen statt; selbst dann, wenn die Armen sich um Inklusion bemühen. Aufgrund zu enger finanzieller Mittel funktioniert es nicht. Ganz einfach ausgedrückt. Diese 2. Forderung fordert nichts anderes, als dass die Regierung, also Sie! die zentrale Aufgabe unseres Staates den Armen eine volle gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Warum? Der allgemein verwendete Armutsbegriff orientiert sich nicht nur am physischen Überleben, sondern auch am sogenannten soziokulturellen Existenzminimum. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze. Auf einen möchte ich den Fokus legen: Der Deprivationsansatz, der auch von der EU verwendet wird und 9 Items enthält. Drei Beispiele: Wer sich nicht eine Woche Urlaub im Jahr leisten kann, wer sich kein Telefon leisten kann oder wer sich keine Waschmaschine leisten kann, ist von materieller Deprivation betroffen. Ein Telefon trägt zu sozialen Kontakten bei. Saubere Wäsche auch und Urlaub bei Freunden oder mit Familien ebenso. Wer das nicht finanzieren kann, ist von sozialer Exklusion betroffen! Dazu gehören auch familiäre und soziale Beziehungen. Soziale Teilhabe zählt zur unantastbaren Menschenwürde dazu. Menschen, die wenig und sehr wenig Geld haben, haben jedoch das Recht auf die Pflege familiärer und sozialer Beziehungen. Das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) als auch die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sollen eigentlich das soziokulturelle Existenzminimum sichern. Und doch tut es dieses nicht in allen Fällen. So kommt es vor, dass Grundsicherungs-Leistungsberechtigte unterhalb der 60-Prozent-Armutsgrenze, trotz eigentlicher sog. existenzsichernder Grundsicherungen, fallen. Sanktionen verschärfen dieses noch zusätzlich (Randbemerkung). Hier werden Sie Ihrer eigenen Gesetzgebung und ihrem eigenen Anspruch, allen Bürger:innen das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern, nicht gerecht. Aus diesem Grund muss eine signifikante Erhöhung in die Regelbedarfe einfließen, um schon Ihrem eigenen politischen Anspruch und Ihrem Koalitionsvertrag gerecht zu werden: „(…) damit die Würde des Einzelnen geachtet und gesellschaftliche Teilhabe besser gefördert wird“. Aber wie schon erwähnt, diese 2. Forderung werden in den noch folgenden Forderungen inkludiert. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. 

22.6.22

Ein ausgeschlafenes Moin in die Politik! @Bundeskanzler @hubertus_heil @c_lindner @AnAudretsch

Mein Fokus liegt erneut auf dem Offenen Brief:

https://drive.google.com/file/d/1YrEuVXW-xUdUfdxKjRuR5I9H75Jjxz6O/view

Die 3. Forderung lautet:

„Umstrukturierung in Verwaltungen, hin zu weniger Bürokratie und einem vertrauensvollen Umgang mit Bürger:innen auf Augenhöhe“.

Heute mache ich es Ihnen etwas einfacher, sofern Sie sich auf Ihren Koalitionsvertrag stü(r)tzen und mir die Seite 59 vorlesen:

„Die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern wir so, dass künftig eine Beratung auf Augenhöhe möglich ist und eine Vertrauensbeziehung entstehen kann“. „Augenhöhe“ abgehakt. 

Nun blättern Sie oder ich ein wenig weiter auf die Seite 61:

„Durch die Einführung einer Bagatellgrenze in Höhe von bis zu 50 Euro werden wir die Jobcenter von Bürokratie entlasten“. Stichwort: „Bürokratie entlasten“. Die Forderung Offener Brief: weniger Bürokratie. Abgehakt. Zusammenfassend könnte man dieses, neben den Punkten der Transparenz, „bürgerfreundlicher“ und der geplanten „Niedrigschwelligkeit“ dann als „Umstrukturierung in Verwaltungen“ auch abhaken. Ach, wenn es so einfach wäre und wenn das Wort „wenn“ nicht wäre. Aber das Positive zuerst: Die Einführung einer Bagatellgrenze von bis zu 50 Euro ist schon mal ein Anfang – für beide Schreibtischseiten. Auch klingen die Worte „Transparenz“, „bürgerfreundlich“ und „niedrigschwellig“ gut. Sie haben erkannt, dass die jetzige Bürokratie sehr hohe Hürden hat. Für alle. Und trotzdem ist dieser Punkt in den Forderungen enthalten. Wenn Sie über die Jahre die Berichte von den Grundsicherungsleistungsberechtigten verfolgt haben, werden Sie bemerkt oder vielleicht sogar bei Bürgernähe vor Ort gehört haben: dass Unterlagen in den Behörden „verloren“ gehen, dass sie Monate auf Bearbeitung ihrer Anträge warten (in der Zeit stehen die Menschen ohne Geld da) oder, dass einzelne Ämter so ihre eigenen Regeln aufstellen. Einzelfall? Mitnichten! Gehen Sie auf die Straße und hören Sie den Betroffenen intensiv zu (z.B. auf Twitter). Fakt ist: Unsere Bürokratie muss im in den Jobcentern und Grundsicherungsämtern menschlicher werden. Die Zeit dafür ist schon lange überreif. Der Knackpunkt liegt jedoch noch woanders. Er liegt in der Machtausübung hinter dem Schreibtisch, auf den Sie wenig leider Einfluss haben. Aber Sie haben Einfluss darauf, welche Botschaften Sie nach Außen transportieren. Ob Sie Kritik von Betroffenen hören wollen und zulassen oder wegwischen. Ein PR-Besuch in einem Jobcenter spiegelt niemals die Realität wider. Es ist ein vorbereiteter Tag. Für das Jobcenter und für Sie. „Augenhöhe“ und „Vertrauensbasis“ kann nur dann in Teilen entstehen, wenn kein Druck entsteht. Druck erzeugt Gegendruck. Alte bekannte Weisheit. Schließen Sie die Mechanismen, die eine Augenhöhe oder eine Vertrauensbasis verhindern  (Sanktionen, Zwang eines Besuches in sinnlose Trainingsmaßnahme, Zurückhaltung von Grundsicherungsleistungen, um die Menschen an den Tisch zu bekommen) und geben Sie beiden Schreibtischseiten Zeit füreinander: Ausloten für passgenaue Stellenangebote oder Ausbildungen, passende anerkannte Qualifizierungen, Zeit für physische oder psychische Stabilisierung. Vielleicht klappt es dann auch mit der zukünftigen Augenhöhe und Vertrauensbasis. 

Fortsetzung hier: