Ein hohes Gut in den Jobcentern ist die sogenannte beidseitige Eingliederungsvereinbarung (§15 SGB II). Laut der Bundesagentur für Arbeit „dient (EinV) dem Qualitätsziel guter Betreuung und Beratung. Mit der EinV soll die Transparenz und Verbindlichkeit der Dienstleistungsbeziehung von Jobcenter und Arbeitsuchenden gestärkt werden.“
Grundsätzliches zur Eingliederungsvereinbarung
Die Eingliederungsvereinbarung ist ein Vertrag zwischen Jobcenter und Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten, der z.B. festlegt, wie viele Bewerbungen in einem Monat geschrieben werden müssen. Voraussetzung für eine Eingliederungsvereinbarung ist grundsätzlich das persönliche Gespräch vor Ort, in dem individuell festgestellte Stärken, Kompetenzen oder auch Einschränkungen besprochen werden. Eine nicht besprochene Eingliederungsvereinbarung, die womöglich noch stillschweigend per Post zugesendet wird, ist nicht zulässig. Das Ziel dahinter ist deutlich: Die Vermittlung in eine Tätigkeit, wobei auch hier Mini-Jobs integriert sein können. Damit sich die Leistungsberechtigten wieder an eine Arbeit „gewöhnen“, kann es durchaus sein, dass zunächst Vermittlungen in Ein-Euro-Jobs oder Trainingsmaßnahmen als Auflage gefordert werden. Eine beidseitige Eingliederungsvereinbarung kann abgelehnt werden (wozu ich grundsätzlich rate, um eine Klagemöglichkeit zu behalten) und es folgt anschließend eine EinV als sog. Verwaltungsakt, der nur durch das Jobcenter unterschrieben wird. Diese entspricht zumeist der abgelehnten Vereinbarung und ist ebenso bindend, was auch für mögliche Sanktionen gilt. Schließlich ist das Jobcenter ja der Ansicht, dass ihre Vorschläge zur Integration in Arbeit oder ähnlichem sinnvoll erscheinen. Wird auch diese nicht anerkannt, muss ein Widerspruch eingelegt werden, der jedoch auch keine aufschiebende Wirkung hat. D.h. mögliche Sanktionen, weil Vereinbarungen nicht eingehalten wurden, können durchgezogen werden. Gegen diese können natürlich ebenso ein Widersprüche / Klagen eingelegt werden. Dass Widersprüche und Klagen gegen Sanktionen durchaus erfolgreich sind, zeigen die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit sowie mehrere Kleine Anfragen über die Bundestagsfraktion DIE LINKE. Dieses am Rande bemerkt.
Dass Jobcenter sehr gerne in unsinnige oder unnütze Maßnahmen oder in Tätigkeiten vermitteln, die nicht den eigenen Potenzialen entsprechen ist nichts Neues. Das Netz ist voller skurrilen Beispielen. Eine verfehlte Vermittlung in eine Tätigkeit liegt auch dann vor, wenn bekannt ist, dass aus gesundheitlichen Gründen eine Arbeit gar nicht ausgeführt werden kann. So zum Beispiel bei einem chronischen Rückenleiden, welches eine wechselnde Tätigkeit voraussetzt (Sitzen, Stehen) und die vorgeschlagene Tätigkeit rein sitzend ist (z.B. Kassiererin, Fließbandarbeit). Auch hier lassen sich genügend Beispiele auflisten.
Wie bereits erwähnt, haben Widersprüche oder Klagen, insbesondere dann, wenn eine unzumutbare Tätigkeit vorgeschlagen wird und Sanktionen erfolgen, hohe Erfolgsquoten. So zuletzt beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (AZ: L 14 AS 1469/17 B). Hier klagte ein Leistungsberechtigter gegen den Verwaltungsakt der EinV und verlangte die aufschiebende Wirkung, da bereits Sanktionen in Höhe von 60 Prozent durch das zuständige Jobcenter vollzogen wurden. Eine Vollsanktion drohte.
Was war zuvor geschehen? Die Klage
Der 40-jährige Kläger bezog nach einem kurzen Arbeitsverhältnis in der Automobilbranche erneut Arbeitslosengeld II. Das Jobcenter legte bereits zuvor fest, dass eine Integration als Bürokraft innerhalb eines Jahres angestrebt werde. Auf Einladungen in das Jobcenter und dem ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur sowie einem Vermittlungsvorschlag als Kundendienstberater reagierte der Kläger nicht. Demnach wurde das Arbeitslosengeld II entsprechend zunächst um zehn Prozent und dann anschließend um 30 Prozent gekürzt. Das Jobcenter schickte im Winter dem Kläger ein Stellenangebot als Callcenter-Agent zu. Dass die geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten vorlagen, bestätigte der Leistungsberechtigte in seiner Bewerbung, weil er bereits früher in diesem Bereich gearbeitet habe. Allerdings bemerkte er parallel dazu an, dass er die geforderte Teamfähigkeit nicht mitbringe und diese sehr bedaure. Eine Reaktion des Arbeitgebers erfolgte daraufhin nicht.
Das Jobcenter fand das nicht wirklich humorvoll und versandte eine Anhörung, aufgrund der fehlenden ernsthaften Bewerbung, zu einer möglichen Sanktion. Der Kläger begründete vor dem Jobcenter seine nicht vorhandene Teamfähigkeit anhand vergangener Arbeitsverhältnisse sowie einer psychologischen Diagnose, die ihm eine stark ausgeprägte antisoziale Persönlichkeitsstörung bestätigte. Das Arbeitslosengeld II wurde trotzdem um 60 Prozent gekürzt. Richtig entschieden hat der Kläger, indem er anschließend einen Antrag vor dem Sozialgericht Potsdam auf aufschiebende Wirkung gestellt hat. Im gleichzeitigen Widerspruch bemängelte er weiterhin eine „Teilnichtigkeit“ der EinV aufgrund der fehlenden Berücksichtigung seiner Eignung, individuellen Lebenssituation sowie der fehlenden konkreten Leistungsangebote durch das Jobcenter. Das zuständige Jobcenter widersprach dem und vertrat die Meinung, dass in der EinV ein „ausgewogenes Verhältnis der wechselseitigen Verpflichtungen sowie die Eignung und individuelle Lebenssituation“ berücksichtigt worden seien. Es folgte eine Klage durch den Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten.
Ergebnis
Offensichtlich sei der Verwaltungsakt der EinV nicht rechtswidrig und lasse auch keine Unausgewogenheit der wechselseitigen Verpflichtung erkennen, so das Gericht. Warum hat der Kläger trotzdem gewonnen? Das Gericht vertrat die Ansicht, dass die EinV sehr allgemein gehalten war und bemängelte die fehlende Individualisierung auf das Berufs- und Tätigkeitsfeld des Klägers. Der Bestimmung durch das Jobcenter auf die Integration als Bürokaufmann steht die fehlende Berufserfahrung gegenüber. Weiterhin kritisierten sie den verwendeten Textbaustein „zur Integration in Arbeit“ als zu pauschal und zu wenig konkret. Auch die bekannte „fehlende Teamfähigkeit“ wurde im Rahmen des Profilings nicht berücksichtigt. Fazit: Die Eingliederungsvereinbarung war ein Stück Papier in dem Textbausteine eingefügt wurden. Das widerspricht dem SGB II in vollem Maße.
Die Textbausteine sind ein beliebtes Mittel, um EinV zügig und schon fast im Akkord zu erstellen. Die EinV unterliegen einer festgelegten Quote, die erreicht werden sollte (muss). Gehe ich nun davon aus, dass vielmals nur rund 30 Minuten für ein Gespräch im Jobcenter zur Verfügung stehen (schließlich muss die „Kundengesprächsquote“ auch erreicht werden) ist ein ausführliches Profiling zeitlich kaum bis nicht möglich. Für mich ist die EinV vielmehr ein Instrument für die Legitimität der Sanktionen. Nicht umsonst gibt es sog. interne (Pflicht)-Schulungen, um rechtssichere EinV abzuschließen. Ich selbst würde grundsätzlich vor Ort keine EinV unterschreiben, sondern mit nach Hause nehmen, um sie dort entsprechend meinen Vorstellung umzuschreiben oder eben auf den Verwaltungsakt bestehen. Eine Sanktionsandrohung bei Verweigerung der EinV ist übrigens auch nicht zulässig! Bei Unsicherheiten empfehle ich den Kontakt zu Erwerbsloseninitiativen bzw. Beratungen vor Ort.