Sehr verehrte Parteien!

Die Bundestagswahl 2017 ist vorbei und mit dieser ziehen nun sieben Parteien in eure heiligen Gemächer der Glaskuppel ein. Ich werde jetzt nicht die Wahlergebnisse auseinanderrupfen, sondern schreibe euch als Wählerin, als Souverän diesen Brief.

Auch für mich war es ein Schock, dass die rechtspopulistische Alternative für Deutschland mit 13 Prozent in den Bundestag einzieht. Allerdings nicht überraschend. Leider. Dieser Einzug beschäftigt nun eure Gemüter über Gebühr. Aber meint ihr nicht, dass die Gründe für diesen Erfolg der Rechtsnationalisten primär bei euch selbst zu suchen ist? Ihr redet seit Jahren davon näher an die Bürgerinnen und Bürger heran gehen zu wollen und zu müssen. Diese Nähe findet man bei euch kurz vor jeweiligen Wahlen, auf Demos für Selfies oder bei Veranstaltungen außer der Reihe. Das ist auch alles richtig und gut. Als Wählerin wünsche ich mir jedoch mehr. Ich brauche keine Selfies von euch auf Demos, sondern eine politische Erklärung, warum ich daran teilnehmen sollte. Was ich möchte, ist der direkte Kontakt zu euch. Sei es über die sozialen Netzwerke oder offenen Parteibüros, ohne das Gefühl zu haben, ich würde euch Zeit stehlen. Und ich brauche eure Meinung, außerhalb eines Wahlkampfes oder Debatten in Landtagen oder des Bundestages. Versteht mich nicht falsch. Eure Meinungen in Debatten sind wichtig, sofern man sich selbst erkundigt, wann diese stattfinden. Aber wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich hier oftmals um eine Show handelt. Immer mit dem Ziel, mit einem prägnanten Satz in den Medien zu erscheinen. Albert Einstein sagte einmal:

„Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.“

Vielleicht denkt ihr jetzt, das sei zu pauschal. Mag sein. Aber es wiederspiegelt stückweise meinen Eindruck. Vielleicht meint ihr jetzt auch, diese Aussagen gelten nicht für unsere Partei. Selbstverständlich gibt es Individuen, die anders agieren. Die Kritik zulassen und kritische Kommentare auf Facebook nicht löschen. Die sich mit den Wählerinnen und Wählern auseinandersetzen und dafür Lob, aber auch Schelte, erhalten. Und nicht jede veröffentlichte Meinung ist glücklich formuliert, weil sie vielleicht zu emotional ist. Oder, weil sie mal nicht dem Parteiduktus angepasst ist. Aber dafür ist sie persönlich und menschlich und zeigt: „Ich bin da und habe eine eigene Meinung“. Weil dahinter einfach ein Mensch steht – mit Stärken und Schwächen. Eine Eigenschaft, die für mich als Wählerin wichtig ist. Die ich brauche. Und ich für mich entscheide ganz allein, ob mir nun diese Meinung gefällt oder nicht. Auch muss ich nicht alles mittragen. Weiterhin wünsche ich mir für die Zukunft eine Sprache, die sich nicht hinter akademischen Fremdwörtern versteckt. Warum soll ich mir die Mühe machen, einen Satz erst mal zu übersetzen? Das schreckt mich ab. Warum soll ich Analysen oder Infobroschüren lesen, die einer Masterarbeit entsprechen? Und doch tue ich es, weil ich Interesse an der Politik habe. Aber auch hier bin ich einfach Mensch: Ich habe es auch gerne einfacher und damit für mich persönlich effizienter. Keiner kann mich mit einer akademischen Sprache beindrucken. Vielmehr werde ich von den Politikerinnen und Politikern beindruckt, die bereit sind, auf meinen Nicht-Status einzugehen. Ein politisches Amt ist für mich keine Auszeichnung, sondern hat mit Verantwortung und Demut gegenüber den Wählerinnen und Wähler zu tun.

Ich könnte mich auch ganz entspannt zurücklehnen und sagen: „Ohne mich“. Aber, genau dieses möchte ich eben nicht. Und natürlich bekomme ich Lob und Schelte dafür. Das ist ok, darf und muss sein. Ich möchte auch nicht mein Kreuz aus taktischen Gründen setzen müssen. Ich setze es, weil ich der festen Überzeugung bin, dieser Mensch, diese Partei nimmt meine Interessen, meine eigenen politischen Überzeugungen wahr und vertritt sie. Dabei erwarte ich nicht 100 Prozent Perfektionismus.

Zum Schluss möchte ich euch gerne etwas mitgeben, auch wenn noch viel zu schreiben wäre. Übt Selbstkritik, verabschiedet euch von eurem Stolz oder der Unbesiegbarkeit und redet mit den Menschen und nicht über sie. Sie sind eure Basis und schlussendlich eure Wählerinnen und Wähler. Offen und ehrlich. Überlasst dieses nicht den Rechtspopulisten. Das ist es nicht wert, sondern brandgefährlich. Danke.

Mit freundlichen Grüßen

Inge Hannemann