Kommentar
Er hat es wieder getan. Detlef Scheele (SPD), die neue Spitze bei der Bundesagentur für Arbeit und ehemals Sozialsenator der Stadt Hamburg. Im „Spiegel Online“ vom 31. März 2017 spricht sich Scheele in einem Interview über „Hartz-IV-Empfänger“ für eine „fürsorgliche Belagerung“ aus:
„Versuche der BA hätten gezeigt, dass die Vermittlungszahlen deutlich anstiegen, wenn die Kontaktdichte sich erhöhe. Eine so verstandene fürsorgliche Belagerung finde ich sinnvoll“, sagt Scheele.“ (…)
„Belagerung“ hat seine Bedeutung aus dem Militär und bedeutet u.a. nichts anderes als das Umstellen einer Stadt oder Festung, um deren Besatzung durch aushungern zur Aufgabe zu zwingen (Wikipedia). Übertragen heißt es auch „Bedrängung“ und der Duden dazu sagt:
„auf jemanden, etwas [mit Ungestüm] eindringen [und so in Bedrängnis bringen] oder in lästiger Weise mit Nachdruck, Hartnäckigkeit zu einem bestimmten Handeln zu bewegen suchen.“
Bereits im Februar des letzten Jahres verwendete Scheele in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Kontext der Langzeitarbeitslosigkeit diesen Begriff:
(…) „und bei Langzeitbeziehern mit Kindern sollten Arbeitsvermittler und Jugendämter die Menschen in eine „fürsorgliche Belagerung“ nehmen.“
Dass die BA durch Reservisten und Offizieren der Bundeswehr geprägt ist, ist bei weitem kein Geheimnis mehr. So verbrachte auch der Ex-BA-Chef Weise einen großen Teil seiner Karriere bei der Bundeswehr. Dies zeigt auch der häufig angewandte Führungsstil innerhalb der „Top-down“-Modellierung, die die Macht und Autorität der Führungskräfte betont. Aber das ist ein anderes Thema. Komme ich nochmals auf die „fürsorgliche Belagerung“ des Spiegels zurück und erweitere dieses mit den Inhalten des Interviews. Wird zum einen die „Belagerung“ präferiert, so schwenkt Scheele zur Familie hin. Das Augenmerk liegt bei den Kindern der Eltern die „zu Hause rumsitzen“ und ihrem Nachwuchs vorleben von Transferleistungen abhängig zu sein“. Und in der SZ möchte Scheele „alles tun, um die Vererbung von Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Das heißt, gerade migrantische Elternhäuser und Eltern mit bildungsfernem Hintergrund müssen ihre Kinder in die Krippe schicken“.
Scheele verwendet neben der allgemeinen negativen Pauschalierung des „zu Hause rumsitzen“ und dem „bildungsfernem Hintergrund“ der Erwerbslosen mit dem oftmals anzutreffenden Bild des „faulen Hartzers“. Damit bedient er sich eines Klischees, was fernab eines sozialen Gedankens ist. Ich kann nur annehmen, dass er dieses auch gar nicht verbreiten möchte. Schließlich verkauft er auch keine Weichspüler, sondern gilt als Hardliner in der Arbeitsmarktpolitik.
Bereits im Januar 2016 habe ich mich im Rahmen des Führungskongresses der BA zu den verschiedensten Positionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf „altonabloggt“ geäußert. Auch hier fiel der Begriff der „fürsorgliche Belagerung“. Damals schrieb ich:
(…) „Wenn Scheele allerdings von „fürsorglicher Belagerung“ der „Kunden“ in den Jobcentern spricht, wird einem Angst und Bange. Insbesondere dann, wenn das Jugendamt und die Familienhilfe involviert werden sollen. Scheeles Joker ist die persönliche Beratung und setzt diese nicht mit Vermittlung gleich. Das dürfte Kalkül sein, die Debatte um die erfolglosen Vermittlungen zu kaschieren. Allerdings gibt es ein starkes Argument dagegen. Es besagt, dass Menschen, die nicht unter Drohungen oder Existenzängsten agieren müssen, zumeist hohe Eigeninitiative zeigen. Fremdbestimmung missbraucht die Kraft der Menschen.“ (…)
An dieser Aussage revidiere ich nichts. Scheele begründet seine Ansicht damit, dass Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigte häufiger eingeladen werden sollen. Schließlich hätten Versuche der BA gezeigt, dass die Vermittlungszahlen deutlich ansteigen, wenn sich die Kontaktdichte erhöhe. Aha. Wahr an dieser Aussage ist, dass die Vermittlung tatsächlich „erfolgreicher“ ist, als mit einem zweimaligen jährlichen Besuch in einem Jobcenter. Aber auf welche Kosten und welcher Grundlage? Scheele vergisst dabei zu erwähnen, dass gerade kurzfristige Vermittlungen, unter starkem Sanktionsdruck, entstehen. Seien es Zeitarbeit oder „Beschäftigungsmaßnahmen“. Als Folgeerscheinung oder Nebenwirkung kann die Sanktionsquote ansteigen, weil aus unterschiedlichsten Gründen Termine nicht wahrgenommen werden oder können. Mal abgesehen davon, dass viele Erwerbslose davon berichten, dass eine tatsächliche Hilfe durch die Jobcenter nicht angeboten wird. Stattdessen herrsche Willkür und Sanktionswut. Damit ist der „Vermittlungserfolg“ relativ.
Harald Thomé (Tacheles e.V.), meint dazu via Twitter:
Fordert Martin Schulz (SPD) mehr Qualifikationen, rudert Scheele zurück. Sein Mantra ist die Vermittlung in Arbeit. Allerdings vergisst er, dass es bei weitem nicht genügend Arbeitsplätze gibt. Und mein Mantra lautet: Dass es neben den nicht ausreichenden Arbeitsplätzen, mit den Stigmata Hartz IV und 50+ kaum Chancen auf eine positive Veränderung geben kann. Oftmals gilt die Regel: Einmal abgeschrieben, immer abgeschrieben. Was sollen die Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler also tun? Einladen, bis man vor lauter Vorladungen den Wald nicht mehr sieht? Sanktionsquote steigen lassen, um der legitimierten Geldkürzung gerecht zu werden? Oder mit den Erwerbslosen über tatsächliche Alternativen, Stolpersteine und Visionscoaching reden? Das wäre eine Möglichkeit, bringt jedoch keine Arbeitsplätze. Aber das ist auch nicht die Aufgabe der BA oder der Jobcenter. Somit befindet sich Scheele in einem Konflikt. Die Jobcenter und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nur in geringen Teilen für eine menschenwürdige und individuelle Beratung ausgestattet und ausgebildet. Dem gegenüber steht der Controlling-Fetischismus, die geringe „Beratungszeit“ vs. Bürokratismus, der zwingende schnelle Vermittlungserfolg und die mediale „Arbeitslosenquote“. Gewollte Hürden, die mit der „fürsorglichen Belagerung“, „Familientherapie“ und häufigeren Besuchen in den Jobcentern nicht abgebaut, sondern aufgebaut werden. Trifft nun Controllingwahn auf Belagerungswahn, können und müssen sich die Erwerbslosen vermutlich noch wärmer anziehen. Und das ist nun mal der bisherige Standard. Und davon nimmt Scheele nicht Abstand.