Wenn nicht jetzt, wann dann?
Widerspruch gegen die neuen Hartz-IV-Bescheide

 

Mitte Februar forderte der Paritätische Wohlfahrtsverband die rund 6 Millionen Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten dazu auf, gegen die neuen Hartz-IV-Bescheide Widerspruch einzulegen. Als Gründe gibt der Paritätische an, dass das Bundesarbeitsministerium die Regelsätze, trotz neuer Berechnungen, frühestens zu 2017 angleichen möchte. Die derzeitigen Regelsätze beim Arbeitslosengeld II basieren noch auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) aus 2008.

In einer Mail an Mitgliedsorganisationen verstärkt der Paritätische seinen Aufruf über die Möglichkeit des Widerspruchs. Notwendig sei er, damit Personen im derzeitigem Hartz-IV-Bezug im Jahr 2017, wenn die Regelsätze neu festgelegt werden, ggf. rückwirkend Ansprüche geltend machen können, so die Aussage in der Mail. Bereits in der Vergangenheit hatte der Wohlfahrtsverband einen Antrag auf Herausgabe der Sonderauswertungen nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt. Dieser wurde vom Bundesarbeitsministerium (BMAS) abgelehnt. Ein Widerspruch läuft. Sollte dieser auch abgewiesen werden, wird der Vorgang erneut geprüft und eine Klage gegen die Bundesregierung ins Auge gefasst.

Inzwischen hat der Paritätische einen Musterwiderspruch auf seine Webseite gestellt sowie die wichtigsten Fragen von Betroffenen aufgenommen und als FAQ veröffentlicht. So werden Fragen geklärt, ob jeder Einzelne Widerspruch einlegen und klagen sollte. Aufstocker, die Wichtigkeit des Widerspruchs, Überprüfungsantrag und der weitere Weg nach dem Widerspruch werden ebenfalls erläutert, sowie der Hinweis auf den Erwerbslosenverein Tacheles e.V. und angebotene Hilfe durch den Paritätischen selbst.

Die Unterstützung durch die Webseite als auch den Aufruf in den Widerspruch zu gehen, sollten am besten alle Leistungsberechtigten nach dem Arbeitslosengeld II wahrnehmen, um rückwirkend mögliche Ansprüche geltend zu machen.

Zum Januar 2016 wird der Regelsatz beim Arbeitslosengeld II (Hartz IV) entsprechend gesetzlicher Vorgabe von 399 Euro auf 404 Euro (Alleinstehende / Alleinerziehend) erhöht. So wurden folgende Erhöhungen beschlossen:

Alleinstehend / Alleinerziehend

404 Euro (+5 Euro)

Regelbedarfstufe 1

Lebenspartner / Ehegatten oder eheähnliche / lebenspartnerschaftliche Gemeinschaft

364 Euro (+ 4 Euro)

Regelbedarfstufe 2

Erwachsene im Haushalt anderer

324 Euro (+ 4 Euro)

Regelbedarfstufe 3

Jugendliche von 14 – 18 Jahren

306 Euro (+ 4 Euro)

Regelbedarfstufe 4

Kinder von 6 – 13 Jahren

270 Euro (+ 3 Euro)

Regelbedarfstufe 5

Kinder von 0 – 6 Jahren

237 Euro (+ 3 Euro)

Regelbedarfstufe 6

Quelle: Bundesregierung – Veränderungen gegenüber 2015 in Klammern

Große Kritik von Seiten aus der Politik, den Sozialverbänden und den Gewerkschaften zeigen auf, dass der Anstieg der Regelsätze nicht der Realität entspricht. So müssten die Regelsätze laut der Einkommens- und Verbraucherstichproben (EVS) weit über dem errechneten Satz 2016 ansteigen. Dieses tun sie nicht, da die Berechnungen aus dem Jahr 2008 stammen – obwohl aktuellere Daten vorliegen. Eine Erklärung von der Bundesregierung liegt nur schwammig vor und sie stellt erst für 2017 eine reale Anhebung in Aussicht. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, benennt es auf Facebook vom 18. Dezember so:

„Habe gerade noch mal nachgerechnet. Seit Einführung von Hartz IV bis heute hat der Regelsatz, gemessen am Verbraucherpreisindex, um 4,08 Euro an Kaufkraft verloren. Mit der Erhöhung um 5 Euro zum 1.1.2016 wird somit gerade mal die Kaufkraft von 2005 wiederhergestellt. Nominal- und Reallöhne haben im gleichen Zeitraum im Schnitt zwar bescheiden, aber durchaus zugelegt. Ergo: Hartz IV-Bezieher werden immer weiter abgehängt.“ 

Die Hartz-IV-Regelsätze werden zu 70 Prozent von der Preisentwicklung den auf dem Markt befindlichen Produkten und zu 30 Prozent aus der Lohnentwicklung der letzten Jahre berechnet. Steigende Stromkosten, Lebenshaltungs- sowie Mietkosten berücksichtigen nicht den tatsächlichen Bedarf des Regelsatzes. Dass sich die Bundesregierung mit schwammigen Aussagen zu den Regelsätzen aus der Verantwortung zieht, ist nicht zu akzeptieren. Der Regelsatz ist dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Menschen, die knapp mit Geld gehalten werden, können sich nicht (mehr) wehren. Eine soziokulturelle Teilhabe ist ausgeschlossen und wie es scheint, auch nicht gewollt. Obwohl es ein Leichtes wäre, die Regelsätze dem notwendigen Bedarf anzupassen, kann nur festgehalten werden: Armut ist politisch gewollt und der politische Wille fehlt gänzlich eine Änderung herbeizuführen. Es ist ein Skandal, dass Menschengruppen bewusst aus der Gesellschaft gedrängt und ausgegrenzt werden.

Auf dem Weg gebracht werden muss eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro, damit ein Leben unter menschenwürdigen Umständen möglich ist.