Rede zur Demo „NoGroKo“ am außerordentlichen Parteitag der SPD am 21. Januar 2018, Word Congress Center Bonn
Liebe Genossinnen und Genossen
Wir stehen hier, weil wir uns friedlich gegen eine Große Koalition aussprechen. Das hat auch gute Gründe. Ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass die ursprüngliche SPD zurück zu ihren Wurzeln findet und für das steht, was zumindest in ihrer Parteiabkürzung steht: Sozial und demokratisch.
Ende Oktober sprach Schulz gegenüber „Die Welt“ davon, dass:
„Wir werden nicht in eine große Koalition eintreten. Wenn die schwarze Ampel scheitert, wird es Neuwahlen geben müssen. Die Verantwortung dafür müssten dann Frau Merkel, Herr Seehofer, Herr Lindner und Herr Özdemir tragen.“
Die Ablehnung einer GroKo erwähnte Schulz bereits am Abend der Bundestagswahl und in regelmäßigen Abständen immer wieder. Nun stehen wir also hier und demonstrieren gegen die Planung einer GroKo. Schon irgendwie paradox. Fakt ist jedoch: Die GroKo wurde durch die Wählerinnen und Wähler abgewählt! Die Sondierungsgespräche sind vorbei und nach Politikermanier werden die Ergebnisse selbstverständlich von den Verursachern schön geredet. Schön ist aber etwas anderes. Ich kann das Ergebnis weder als Erfolg noch im Gesamten positiv bewerten. Das Sondierungspapier bezeichne ich mehrheitlich als einen Abklatsch eines Weiter So! unter der Knute Merkels und Scheinargumenten. Und wenn die CDU / CSU ihre außerordentliche Zufriedenheit kundtun, bestätigt mich dieses nur. Zurück bleibt eine gewisse Skepsis. Jeder, der eine Grundausbildung in Mathematik genossen hat, erkennt, dass die schrittweise Abstufung des derzeitigen Solibeitrages die hohen Einkommen entlasten. Niedrige Einkommen zahlen ja gar keinen oder einen sehr geringen Solibeitrag. Ähnliches finden wir in der Vereinbarung, dass der Spitzensteuersatz, anders als zuvor diskutiert, nicht angehoben wird. Das Genossinnen und Genossen ist eine Subventionierung der Reichen, der Gutverdienenden. Aber keine soziale Umverteilung, die dringend notwendig ist. Die einzige minimale Steuerentlastung sehe ich in der zukünftigen paritätischen Umwandlung der Krankenkassenbeiträge zu gleichen Teilen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Reicht das aus? Nein! Hier wäre ein klares Signal die Bürgerversicherung gewesen. Die kleinen Leute müssen nach wie vor tief in die Tasche greifen und immer mehr finden darin weniger. Dafür werden die Reichen und Superreichen immer reicher und von der Politik geschont. Das ist nicht sozialdemokratisch, sondern genau die Politik der CDU / CSU!
Schauen wir uns doch mal ein paar Punkte des Sondierungspapiers an:
- Sachgrundlose Befristungen: passé
- Reichensteuer: passé
- Reformierung oder gar Distanzierung von der Agenda 2010: passé
- Ausbau und Unterstützung bei der Inklusion: passé
- Menschenwürdige Rente: passé.
Stattdessen aufgestockte Rente mit Grundsicherungsaufschlag. Aber nur für Menschen, die 35 Jahre gearbeitet bzw. Versicherungszeiten vorweisen können. Das Ganze natürlich nur nach Prüfung der Vermögensverhältnisse. Kurz gesagt: Diese Menschen müssen sich weiterhin nackt machen. Das Genossinnen und Genossen ist noch nicht mal eine Grundrente. Das ist ein Betteln bei den Sozialleistungsträgern und ein Schlag für die Betroffenen, die einmal gedacht haben, sie könnten im Alter von ihrer vergangenen Erwerbstätigkeit in Ruhe ihren verdienten Ruhestand genießen.
Erweiterte Mütterrente: Mogelpackung par excellence. Zwar sollen nun vor 1992 geborene Kinder pro Kind einen weiteren Rentenpunkt erhalten; jedoch nur bei drei oder mehr Kindern. Was ist das denn?
Eine angedeutete „Obergrenze“ für Geflüchtete und Flüchtlingszentren sind eine weitere inhumane, unsoziale Politik. Der scheinbar großzügige Familiennachzug vereint nicht Familien, sondern trennt auch in Zukunft tausendfach Familien. Dabei ist es bewiesen, dass gerade sich auf Flucht befindende Menschen ihre familiäre Unterstützung mehr als je benötigen. Eine Flucht ist auch ein Suchen und ein Finden nach Frieden und Freiheit. Beides gehört unweigerlich zusammen. Mit unseren Rüstungsexporten verhindern wir den Frieden und die Freiheit dort, woher die Menschen flüchten.
Pflege: 8.000 neue Stellen für Pflegefachkräfte. Ein Mikro-Tropfen auf dem heißen Stein. Benötigt werden rund 100.000, um eine tatsächliche gesicherte und menschliche Kranken- und Altenpflege sicherzustellen.
Ich habe nun ein paar Punkte herausgegriffen, die mich zugegebenermaßen besonders aufregen. Aber was ist der eigentliche Kern? Die SPD als Sprachrohr, entsprechend ihren Wurzeln, für Arbeiterinnen und Arbeiter hat spätestens mit der Einführung der unsozialen und entrechteten Agenda 2010-Politik ihre politischen Ideale verlassen und sich immer mehr einer konservativen und neoliberalen Politik angeschlossen. Das eigene politische Handeln, auch durch die Fußfesseln der Merkelpolitik verursacht, zeigt doch mehr als deutlich auf, dass es nicht vorwärts ging, sondern rückwärts. Die Schere zwischen arm und reich wächst, ebenso die Altersarmut, die kein Thema war und auch nicht wirklich ein Thema für die Zukunft darstellt. Atypischer Arbeitsmarkt, ein Mindestlohn, der immer mehr Menschen zu den Tafeln bringt oder dazu führt, dass zwei Jobs ausgeübt werden müssen: alles kein Thema in den Sondierungsgesprächen. Punkte, die für die SPD außerordentlich wichtig gewesen wären, um zumindest ein wenig Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen. Stattdessen wurde der Rückwärtsgang eingelegt – auf Kosten vieler Millionen Menschen. Die sinkenden Wahlergebnisse haben es doch mehr als deutlich aufgezeigt. Ist es das, was die SPD will? Manchmal weiß ich es wirklich nicht mehr. Ich schüttle nur noch den Kopf.
Es wird davon gesprochen, dass der unhaltbare Zustand einer geschäftsführenden Regierung beendet werden soll und Deutschland wieder eine kräftige Regierung benötige. Ja, aber was Genossinnen und Genossen, ist nun der tatsächliche Unterschied zwischen den letzten 12 Jahren und dem derzeitigen Bundestag? Ich merke keinen. Unter Merkel hat sich eine Politik des Aussitzens etabliert.
Regine Hildebrandt sagte einmal:
„Politik geschieht schon gar nicht dort, wo man sich den Hinten plattsitzt.“
Und das will die SPD mit einer Fortsetzung der GroKo? Und gleichzeitig damit der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen AfD als stärkste Opposition diese Funktion überlassen? Das Genossinnen und Genossen stärkt nicht die SPD, sondern stärkt spätestens bei der nächsten Bundestagswahl die Rechtsextremen. Das ist zu verhindern und geht nur, wenn die Bank der Opposition stark ist. Wenn sie die AfD in ihre oppositionelle Schranken verweist und ihr undemokratisches, unsoziales, rechtspopulistisches und rechtsextremes Gebaren offenlegt und gegenargumentiert. Die SPD muss zu ihrer politischen Glaubwürdigkeit zurück. Solange sie aber ganze Gruppen, wie Menschen mit Behinderung, Erwerbslose, Geflüchtete ignoriert und eine Besänftigungspolitik für die Reichen fährt, solange wird das auch nichts mit der Glaubwürdigkeit. Solange sich nun die Sondierer hinstellen und von einem großartigen Ergebnis sprechen, aber gleichzeitig Nachverhandlungen fordern, solange wird auch das nichts mit der Glaubwürdigkeit. Und solange sie sich weiterhin selbst verraten, der linken SPD-Politik kaum Chancen einräumen und der Seeheimer Kreis die Oberhand behält, auch so lange wird das nichts mit der Glaubwürdigkeit. Kurz gesagt: Die SPD hat ein Glaubwürdigkeitsproblem und wundert sich. Ich wundere mich nicht. Schon lange nicht mehr.
Genossinnen und Genossen:
Die SPD kuscht erneut und lässt Mut vermissen. Mut für ein großes Denken, für ein wirkliches offenes Europa und für eine sozial-ökologische Politik, die für alle gilt. Kompromisse eingehen heißt nicht: Mehr Rhetorik als Überzeugung, heißt auch nicht, mehrheitlich von ihren eigentlichen Zielen abzurücken (ich erwähne hier Klimaziele). Ich frage mich wirklich, welche Stimmen hört die SPD-Basis, wenn sie von sozialer Gerechtigkeit sprechen? Nur ihre eigenen? Die in meinen Augen weitab von der Realität sind. Warum hören sie nicht auf die Stimmen aus der Bevölkerung, die bis heute gerade die Umsetzung der Agenda 2010 kritisieren und sich von der SPD abwenden? Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Unzufriedenheit, ja auch die Wut, die Enttäuschung sind da und sie sind laut und haben in Teilen die Rechtsextremen gewählt und damit gestärkt. Das ist fatal! Und hier vermisse ich die Selbstreflektion der SPD. Fehler werden gemacht und dürfen gemacht werden. Aber ein sich darauf selbst loben, sie zu ignorieren ist Realitätsverlust und gefährlich. Und Fehler bewusst zu wiederholen, das ist einfach nur dumm. Stattdessen wird auf kritische interne Stimmen, die ihre Berechtigung haben, mit Kritik oder gar mit Beleidigungen reagiert. Nein, so geht das nicht. Das funktioniert nicht. Die SPD muss, um noch etwas zu retten, zurück zu ihren Wurzeln. Sie muss für das einstehen, was sie eigentlich proklamieren: Soziale Gerechtigkeit, sozialdemokratisches Denken und für die einstehen, die vom kapitalistischen Neoliberalismus, wie insbesondere von der CDU / CSU und FDP vertreten werden, überrollt werden. Alles andere ist Murks! Die Sondierer haben schlecht verhandelt und ein „Ja“ zur GroKo hat sich die SPD einfach nicht verdient. Ich kann nur sagen: SPD, ihr habt euch in größten Teilen über den Tisch ziehen lassen.
Und zum Schluss möchte ich den Sondierern zwei Dinge mit auf dem Weg geben:
- Wir alle waren mal Zwerge, und lieber einen Zwergenaufstand, als ein Weiter so!
- Willy Brandt sagte einmal:
„Die Wirksamkeit eines Parteitages richtet sich nicht danach, wieviel Papier er produziert, sondern welche Grundentscheidungen er trifft.“
Und das kann nur NoGroKo heißen!