Kommentar

„Ist doch praktisch“, las ich desöfteren in den sozialen Netzwerken zur Meldung „Arbeitslose können sich bald Geld im Supermarkt auszahlen lassen“. Diese Neuerung der Bundesagentur für Arbeit ist für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld I und II gedacht, die kein eigenes Konto besitzen oder am Monatsende einen dringenden Vorschuss benötigen. Zu den beteiligten Unternehmen zählen Discounter wie Rewe, Penny, Real sowie die Drogerienketten dm und Rossmann. Der Start ist für das zweite Quartal 2018 geplant und bis Ende 2018 soll es flächendeckend eingeführt sein. Die Bundesagentur für Arbeit betonte im November des vergangenen Jahres:

„Das Verfahren ist für Menschen, die in Not sind und kurzfristig einen Barbetrag benötigen“.

 

Somit bleibe die Auszahlung des Arbeitslosengeldes wie gehabt über ein vorhandenes Konto und zu Monatsende. Die Gründe liegen auf der Hand: Kosteneinsparungen. Das sagt zumindest die Bundesagentur für Arbeit, wenn sie mit dem Aufwand in Höhe von 3,2 Millionen Euro vom Vorjahr argumentiert. So koste jede Bar-Transaktion, also die Abhebung an den bisherigen eigenen Kassenautomaten in den Jobcentern und Arbeitsagenturen, acht Euro. Davon gab es jährlich rund 400.000 verteilt auf 309 Kassenautomaten.

„Die neue Lösung werde günstiger sein“, so eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit.

Über die Kosten schwebte jedoch das Schweigegelöbnis, als die für die Öffentlichkeit nicht bestimmte Meldung in den Medien erschien. Dass die Jobcenter oder Arbeitsagenturen dazu verpflichtet sind bei Bedarf, nach Prüfung und Ermessen Vorschüsse zu zahlen regelt § 42 Abs. 1 SGB I. Hier heißt es:

„Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1 zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt; die Vorschußzahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.“

Kurz gesagt: Der Vorschuss kann sofort, muss jedoch spätestens einen Monat nach Antrag ausbezahlt werden. Bisher war / ist es so, dass diese Vorschüsse nach strenger Prüfung durch die Leistungsabteilung der Jobcenter, oftmals mit verbundener Überzeugungskraft der Leistungsberechtigten, per Karte am Kassenautomat vor Ort oder wenn dieser nicht vorhanden war, per Barscheck ausbezahlt wurde / wird. Da die bisherigen Informationen von Seiten der Bundesagentur für Arbeit sehr dürftig waren, habe ich eine IFG-Anfrage über „Frag den Staat“ gestartet und erhielt per Brief die Antworten über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Demnach wurde die „Neuordnung der Barzahlungsprozesse der Bundesagentur für Arbeit / CashBA“ im Rahmen des Vergabeverfahrens „Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb“ angewandt, da der Schwellenwert von (derzeit) 209.000 Euro netto überschritten wird. Auf meine Frage hin, ob die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) zuvor angefragt wurde, antwortet das BMAS, wie die derzeitige SPD, dass das Vergabeverfahren ergebnisoffen angelegt sei. Auch wurden die Belange des Datenschutzes und der IT-Sicherheit bereits in den Vergabeunterlagen berücksichtigt. Das interne Justiziariat, der Datenschutz und Compliance (JDC) der BA wurde immerhin informiert und in alle Schritte des Projektes mit eingebunden. Weiterhin schreiben sie, dass der Bereich JDC die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit benachrichtigte und ihr die Vergabeunterlagen zur Verfügung gestellt habe. Allerdings schränken sie diese Aussage zugleich wieder ein, dass die Einbindung der BfDI vor Durchführung des Vergabeverfahrens doch nicht sinnvoll gewesen wäre.

Am 15. November twitterte Peter Schaar (Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID), Berlin; Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit a.D. (2003-2013)):

Es scheint so, als löffle man die eigene produzierte Suppe lieber alleine, als das Risiko einzugehen von Außen unabhängige Kritik sich anhören zu müssen. Ein analoges Verhalten wurde auch gegenüber den Mitarbeitern der Jobcenter und Arbeitsagenturen an den Tag gelegt, die so laut BMAS „mit der aktuellen Presseentwicklung über das Projekt und das geplante Vorgehen der BA informiert“ wurden. Transparenz gegenüber den Mitarbeitern: Fehlanzeige. Die Presse wird’s schon richten.

Wie sieht es nun mit den zukünftigen Kosten aus? Immerhin sprach die BA davon, dass „die neue Lösung günstiger sein werde“. Bisher lagen die Kosten bei 7,22 Euro pro Auszahlung an den derzeitigen Kassenautomaten. Nun spricht man von voraussichtlich 5,50 Euro. Allerdings könne diese „nicht valide vorhergesagt werden“, so das BMAS weiter. In den Medien war zu lesen, dass jährlich rund 400.000 Kassenautomatenauszahlungen à acht Euro erfolgten und kam so auf die rund jährlichen 3,2 Millionen Euro. Nach den neuen Zahlen der IFG-Anfrage betragen die bisherigen Kosten 2,88 Millionen Euro (7,22 Euro x 400.000 Auszahlungen). Diese werden, valide ausgedrückt, in Zukunft 2,2 Millionen Euro betragen, sofern die bisherigen rund 400.000 Auszahlungen konstant bleiben. Eine jährliche Ersparnis von knapp 7 Millionen Euro. Die Rückbaukosten in Höhe von rund 600.000 Euro der derzeitigen vorhandenen Kassenautomaten und evtl. Kosten in den jeweiligen Dienststellen für etwaige bauliche Veränderungen habe ich hier noch nicht miteinander verrechnet. Das könnten sein: Beseitigung von Zwischenwänden oder Änderung der Elektronik.

Das Bundesarbeitsministerium verweist in seinen Antworten nochmals deutlich darauf hin, dass der Supermarkt-Zahlschein neutral erstellt sei, da er weder den Namen der Empfänger, noch ein Logo oder andere Informationen der Auszahlungsstelle enthalte. Im gleichen Atemzug machen sie jedoch darauf aufmerksam, dass auch Kunden von Geldinstituten, die keine Sozialleistungsbezieher sind, die Möglichkeit über Barzahlen.de auf ihr Kontoguthaben zurückgreifen. Ein Rückschluss auf die Zugehörigkeit der Leistungsberechtigten beim Einlösen der Zahlscheine und dem möglichen fehlenden Einkauf schließen sie aus.

Im Übrigen wird es im Kreis Bautzen kein „Hartz IV im Supermarkt“ geben. Die Optionskommune lehne dieses ab, so der Landratsamt-Pressesprecher Gernot Schweitzer. Weitere Gründe wurden nicht genannt.

Ich bleibe dabei, dass die erwähnte Anonymität an der Supermarktkasse ein Unbehagen bei mir auslöst und die Anonymität gerade in kleinen Städten oder gar Dörfern eben keine mehr ist. Hier kennt jeder jeden und schnell ist erkennbar, dass eine Auszahlung in Höhe des Hartz-IV-Satzes eben eine Sozialleistung darstellt. Insbesondere dann, wenn keine Einkäufe getätigt werden. In diesem Fall ist die Supermarktkasse für mich der falsche Ort, um die Würde des Menschen zu behalten. Die Begründung, dass diese Auszahlungsart gerade für Menschen ohne Konto eine Vereinfachung sei, führt mich zur Frage: Warum ist es bis heute nicht möglich, dass jeder ein Girokonto erhält – trotz der gesetzlichen Verpflichtung von Seiten der Banken? Die politische Diskussion und Forderung eines kostenlosen Girokontos und die Vereinfachung eines zu erhalten, muss dringend erneut auf die politische Agenda in Berlin.

Ergänzende Links:

Arbeitslosen können sich bald Geld im Supermarkt auszahlen lassen“ – Süddeutsche

Da müssen sie doch sowieso hin: Barauszahlungen von Sozialleistungen an der Supermarktkasse“ – Aktuelle Sozialpolitik