Am 29. Oktober wurde Jana Grebe mit dem „Preis für Zivilcourage“ durch die Solbach-Freise-Stiftung ausgezeichnet. Jana Grebe arbeitete bis zu ihrer Selbstkündigung als Fallmanagerin im Jobcenter in Osterholz-Scharmbeck. Ich durfte die Laudatio halten, die ich hier einstelle.
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Mitglieder der Solbach-Freise-Stiftung, sehr geehrter Landrat Bartels, liebe Gäste, liebe Jana!
Zunächst möchte ich mich für die Einladung und der damit verbundenen Laudatio für die diesjährige Preisträgerin des „Preises für Zivilcourage“, Jana Grebe herzlich bedanken. Als ich die Anfrage dazu von der Solbach-Freise-Stiftung erhielt, habe ich mich sehr gefreut. Es ist mir eine große Ehre für meine Ex-Kollegin, die wirklich Mut und damit Zivilcourage bewiesen hat, diese Laudatio zu halten. Am liebsten würde ich monatlich Laudationes halten, um aufzuzeigen, dass sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem „Hartz –IV-Regime“ nicht einverstanden sind. Aber soweit sind wir leider noch nicht.
Um die Preisträgerin zu würdigen, möchte ich übergreifend fragen, worin bestanden der eigentlich der Mut und die Zivilcourage von Jana Grebe? Sollte es nicht selbstverständlich sein, unsinnige Anweisungen, bzw. im Behördenkonstrukt Weisungen, zu verweigern bzw. überhaupt herauszugeben? Und was hat Jana Grebe „verbrochen“, was dazu führte, nach verlorenem Arbeitsgerichtsprozess, ihren sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst selbst zu verlassen?
Jana drückte es gegenüber den Medien selbst einmal so aus:
„Ich kann doch nicht angewiesen werden, ganz klar gegen die Menschenwürde zu verstoßen“.
Was tat Jana Grebe?
Jana weigerte sich im Zuge eines Modellversuchs Eingliederungsvereinbarungen, also den Vertrag zwischen Jobcenter und Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten, als Serienbrief und ohne vorherige Einzelfallprüfung auszustellen und zu versenden. Die sog. Eingliederungsvereinbarungen, mehrheitlich im schwer verständlichen Behördendeutsch geschrieben, beinhalteten pauschal Aktivitäten, die die Leistungsberechtigten auszuführen hatten. So z.B. mindestens fünf Bewerbungen pro Monat zu schreiben oder ein Praktikum zu absolvieren. Die Empfängerinnen und Empfänger sollten nun, auch wenn sie der deutschen Sprache nicht mächtig waren, diesen Vertrag unterschreiben. Dies galt auch für Menschen, die krank waren oder aufgrund ihrer familiären Situation gar nicht arbeiten konnten. Sie unterschrieben damit auch, dass zuvor ein persönliches Beratungsgespräch darüber stattgefunden habe. Das fand jedoch eben nicht statt. Die Folgen für die Betroffenen wären schlussendlich Sanktionen gewesen, also Kürzungen des Arbeitslosengeldes II, wenn sie gegen die Eingliederungsvereinbarung verstoßen hätten. Und dieser Verstoß wäre schnell dagewesen. Insbesondere dann, wenn man die Sprache, den eigenen Dialekt der Eingliederungsvereinbarungen nicht versteht.
Als wir uns über den Kontakt von Harald Thomé kennenlernten, zunächst telefonisch, befand sich Jana gerade in dem Prozess, dass diese Verträge versendet wurden. Sie empörte sich darüber, dass sie dazu aufgefordert wurde eklatant gegen das Sozialgesetzbuch II verstoßen zu müssen und damit Menschen bewusst in existenzielle Not zu bringen, wenn sie nicht gehorchen. Und Jana ging den richtigen Weg, in dem sie zunächst intern, ihrer Pflicht entsprechend, remonstrierte und sich weigerte diesen Modellversuch zu unterstützen. Wir haben uns anschließend, auch auf meinen eigenen Erfahrungen beruhend, darüber unterhalten, wie sich ihre berufliche, aber auch ihre private Situation, dadurch verändern könnte. Wir haben uns auch darüber unterhalten, was ihr begegnen könnte, wenn sie damit an die Öffentlichkeit, auch über die Medien, geht. Ich habe ihr versucht zu erklären, dass sie nicht nur als Heldin deklariert werde, sondern auch mit Diffamierungen, Beleidigungen und Unverständnis konfrontiert werden könnte. Und diese negativen Punkte von allen Seiten kommen. Auch leider von den Menschen, die man ja eigentlich mit dem eigenen Verhalten schützen möchte. Das muss man aushalten können und wollen. Und dazu ist wiederum eine starke körperliche und psychische Stärke notwendig, sowie die volle Unterstützung der Familie. Immerhin bestand zu diesem Zeitpunkt bereits die Gefahr auf ein Gehalt verzichten zu müssen. Alleine dieser Grund zeugt schon in meinen Augen von Zivilcourage. Jana hat nicht weggeschaut und ist nicht weggelaufen. Stattdessen hat sie sich diesem Drill entzogen und in meinen Augen richtig erkannt, wenn sie sagt:
„Kein Geld der Welt und auch kein unbefristeter Vertrag darf es wert sein, seine Moral und seinen Verstand morgens an der Tür abzugeben.“
Und damit hat sie so was von Recht. Keine Moral und kein Verstand darf auf Kosten von Menschen morgens an der Tür abgegeben werden.
Ich möchte kurz erläutern, wie sich Hartz IV auf unsere Gesellschaft auswirkt. Dazu beginne ich mit einem Satz des kürzlich verstorbenen Heiner Geißler. In seinem Buch „Ou Tobos, Suche nach dem Ort, den es geben müßte“, schrieb er, „dass sich in unserer Gesellschaft eine seelische Hornhautmentalität ausbreitet, die die Menschen unempfindlich macht für die wirklichen Nöte ihrer Mitmenschen.“
Die Einführung der Agenda 2010, und damit auch Hartz IV, war vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen richtig, um die Kommunen zu entlasten. Menschlich und philosophisch war und ist es jedoch falsch. Kurz vor der Einführung der Agenda 2010 wurde plötzlich von einer neuen Unterschicht gesprochen, die Menschen einbezog, die in Zukunft Arbeitslosengeld II beziehen müssen, weil sie nicht rechtzeitig eine neue Tätigkeit gefunden haben. Aus der Parole „Fördern und Fordern“ ist mehrheitlich ein Fordern geworden. Menschen müssen sich nackt machen, müssen ihren größten Teil eines Vermögens versilbern, um überhaupt in den Genuss unseres Sozialstaatsprinzips zu kommen. Sie werden durch das Gesetz behandelt, als hätten sie zuvor nie gearbeitet, trotz dass sie zum Teil jahrzehntelang in die Sozialkassen einbezahlt haben. Der durchaus wichtige psychologische Bezug zur früheren Arbeitslosenhilfe, die in Verbindung mit dem vorherigen Nettolohn berechnet wurde, verschwand. Und damit entstand eine staatliche Missachtung der Lebensleistung dieser Menschen. Berechtigte Ängste vor Geldkürzungen durch die Jobcenter, vor schlechter Laune von Mitarbeitern oder dem Wissen um die Rechtsunsicherheit bei den Mitarbeitern prägen teilweise bis heute das Bild von Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten. Die Menschen verschwinden hinter Paragraphen und sind auf einmal Kennzahlen in einem ausgeklügelten Zielvereinbarungssystem, indem Zahlen erreicht werden müssen oder Maximalausgaben nicht übersteigt werden dürfen. Leistungsberechtigte sind temporär mit sich selbst so gezwungenermaßen beschäftigt, dass die Fähigkeit für ein Miteinander verloren geht und ging. Sie kämpfen schlichtweg um ihre Existenz und damit um sich selbst oder ihrer Familie. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer mehr verroht. Menschen leben teilweise in ihrem eigenen Ich, ohne nach links oder rechts zu schauen. Die eigene Existenz zu sichern ist die Präferenz. Behördenkonstrukte, wie die Jobcenter, werden über ein negatives Menschenbild konstruiert. Wer nicht gehorcht, wird bestraft. Und das kann bis zum vollen Entzug der finanziellen Existenzberechtigung gehen, in dem man die kompletten Leistungen kürzt. Wohnungsverlust, kein Geld für Essen oder Medikamente und dem kompletten Rückzug aus der Gesellschaft und deren Teilhabe sind die Folgen.
Und damit komme ich zur Frage: Warum nimmt sich ein Staat die Freiheit heraus mündige Bürgerinnen und Bürger mit Maßregelungen und Bestrafungen erziehen zu wollen? Vergessen wird dabei, dass der eigentliche Bedarf trotzdem besteht und zwar unverändert. Die Leistungsberechtigten müssen sich somit ihren Bedarf verdienen und sich dem Erziehungsgedanken der Bundesagentur für Arbeit beugen. Als legitimierter Arm agieren hier die Jobcenter – was einer schwarzen Pädagogik entspricht. Dabei wird schon mal vergessen, dass die Vorstellungen der Jobcenter weit weg von der Realität der Menschen, die ihnen gegenüber sitzen, entfernt sind. Wer sich als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter dem entgegenstellt wird ebenfalls bestraft. Sei es mit Ächtung, Diffamierungen oder dem Verlust des Arbeitsplatzes. Unser Grundgesetz, Artikel 1 spricht davon, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Dieser Artikel gilt für alle ohne Vorbehalt. Er kann nicht an Bedingungen, wie regelkonformes Verhalten, geknüpft werden. Wenn Leistungsberechtigte jedoch ihrem eigenen Wissen um ihre Stärken, ihren beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten und ihrem persönlichen Können den Vorstellungen der Jobcenter bewusst sind, aber nicht entsprechen, ist genau diese Würde des Menschen antastbar. Sie wird ignoriert und mit Füßen getreten. Das Prinzip des „Förderns und Forderns“ ist ein Rückfall hinter die Errungenschaft allgemeiner Menschenrechte. Unser gegenwärtiger Sozialstaat fungiert somit als ein paternalistischer Erziehungsstaat, der seine Leistungsberechtigten zum gesellschaftlichen Wohlverhalten antreibt – und sei es mit Sanktionen oder deren Androhungen. Dieses führt weniger zu einem positiven Effekt, sondern eher zu einer Spaltung zwischen der Zusammenarbeit des Betroffenen und der Jobcenter. Ich kann hier nicht von einer sozialen Inklusion sprechen, sondern spreche hier von einer sozialen Exklusion, deren individuellen und gesellschaftlichen negativen Effekte kaum absehbar sind.
Auf der anderen Seite des Schreibtisches, also dort wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sitzen, wird das Spiel mitgespielt, weil oftmals die eigene Befristung und Existenz, berechtigterweise eine wichtige Rolle spielt. Schließlich möchte man ja nicht selbst in einem Jahr als Hartz-IV-Empfängerin oder Empfänger um Geld betteln müssen. D.h., wie im Fall von Jana, werden dann im Zweifelsfall Gesetze gegen die Erwerbslosen angewandt. Jana hat dieses Unrecht gesehen und nicht blind ausgeführt. Das macht sie zu einer würdigen Preisträgerin. Sie hat mir und uns ein Spiegel vorgehalten, dass eine Gesellschaft so nicht funktionieren kann und darf. Dass offensichtliche Gesetzesbrechungen nicht hinnehmbar sind und gegen die Menschenwürde verstoßen. Und sie hat uns damit die Chance gegeben, über den Wandel der Gesellschaft, die Funktion derer und über die Funktion der Jobcenter nachzudenken.
Die damalige Regierung unter SPD und Grüne haben mit der Einführung der Agenda 2010 ihre eigene Seele an den Neoliberalismus verkauft. Auf Kosten von Betroffenen, die in Kategorien eingeteilt wurden und sich bis heute noch darin befinden. So ist es unwürdig erwerbslos zu sein, würdig ist es jedoch, auch oft aus Sicht der Jobcenter, für einen Niedriglohn zwei oder drei Jobs auszuüben, um über die Runden zu kommen. Es ist bis heute ein kollektiver Wahnsinn, dass eine Regierung, ein Bundestagsparlament nicht in der Lage und Willens ist, diesen Irrsinn abzuschalten und einzustampfen. Jana wurde in den Medien als „Jobcenter-Rebellin“ dargestellt. Mir wurde 2013 der Name „Hartz-IV-Rebellin“ verliehen. Nun sind wir also schon zwei Rebellinnen. Immer wieder werde ich gefragt, ob ich mit dieser Bezeichnung klar komme oder was für mich Rebellin heißt. Laut Duden, kommt „Rebelle“ aus dem französischen bzw. aus dem lateinischen und heißt: „den Krieg erneuernd“. Weiter heißt es sich an einer Rebellion zu beteiligen oder ist ein Aufständischer, der aufbegehrt, sich widersetzt. In Gesprächen mit Jana fanden wir heraus, dass weder sie noch ich uns an einem Krieg beteiligen wollen. Wir haben uns widersetzt, das ist richtig. Aber nicht im Rahmen das wir gegen etwas oder gar gegen jemanden kämpfen, sondern für Etwas. Und das, verehrte Gäste, hat eine ganz andere Bedeutung. Für etwas kämpfen bedeutet für Jana, die Menschenwürde zu beachten und gleichzeitig damit zu berücksichtigen. Und damit komme ich zum Schluss:
Jana hat Menschlichkeit walten lassen in dem Wissen, dass sie schlussendlich die Kosten dafür zu tragen hat. Ihr war von Anfang an bewusst, dass ihre Chancen mit ihrem Aufbegehren sehr gering sind. Dafür kennt sie das innere System zu gut. Wie schon gesagt, sie hat uns mit ihrer Zivilcourage einen Spiegel vorgehalten. Was wir damit nun machen, liegt an uns. Und dafür sind wir alle Jana Grebe zu großem Dank verpflichtet!
Liebe Jana, ich gratuliere dir zu deiner Auszeichnung von ganzem Herzen und ich bin froh, dich kennengelernt zu haben. Vielen Dank und dir und deiner Familie für die Zukunft alles Gute und viel Kraft. Unser Land braucht Menschen wie dich.
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