Kommentar 

Grüne Delegierte stimmen für die Abschaffung der Sanktionen in den Jobentern und Arbeitsagenturen. Das ergab heute die Abstimmung auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Münster. Plädiert der Bundesvorstand auf der Bundesdelegiertenkonferenz lediglich die Sanktionen zu bewerten und auszusetzen, fordern die Antragsteller, unter dem nordrhein-westfälischen Landesvorsitz Sven Lehmann, die Abschaffung. Unterstützung gab es vom Berliner Landesvorsitzenden Daniel Wesener und der stellvertretenden Vorsitzenden der grünen Bundestagsfraktion Katja Dörner. Im Antrag heißt es u.a.: „Wir wollen ein Ende der Praxis von Androhung und Bestrafung, die in vielen Job-Centern und Arbeitsagenturen Realität ist. Stattdessen setzen wir auf Motivation, Anerkennung und Beratung auf Augenhöhe.“ Weiter heißt es, dass Sanktionen sowohl den kooperativen Charakter des Fallmanagements wie auch ein menschenwürdiges Existenzminimum gefährdeten. „Daher wollen wir sie abschaffen.“ Etwas abgeschwächter und unter weiterer Bedrohung von Strafen formulierte erst kürzlich Fraktionschef Anton Hofreiter gegenüber der Rheinischen Post: „Wir brauchen eine grundlegende Reform. Die jetzigen Sanktionsregeln sind zu starr und gehören auf den Prüfstand. Solidarität ist keine Einbahnstraße, dort wo tatsächlich ein Missbrauch vorliegt, darf er nicht folgenlos sein.“

Tatsächlich wurden in den letzten fünf Jahren rund 1 Million Sanktionen jährlich gegenüber Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten ausgesprochen. Rund Drei Viertel davon wegen sog. Meldeversäumnissen. Monatlich werden über 7.000 Sanktionierten ihre Leistungen komplett gestrichen. Das bedeutet, dass diese Menschen weder Geld zum Leben noch für ihre Miete erhalten. Im Oktober gab es bundesweit über 53.800 Widersprüche und über 9.600 Klagen gegen die Jobcenter. Jedem dritten Widerspruch wurde stattgegeben oder teilweise stattgegeben. Bei den Klagen waren es immerhin rund 40 Prozent.  Bei jedem dritten stattgegebenen Widerspruch handelte es sich um eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch die Jobcenter.

Dass die Grünen nun für die Abschaffung der Sanktionen in den Jobcentern stimmen, bricht auch mit ihrer eigenen Geschichte. Waren sie doch kräftig dabei, unter der rot-grünen Koalition die Agenda 2010 durchzusetzen und auch noch zuletzt im Bundesrat und Bundestag für die sog. „Rechtsvereinfachungen SGB II“ zu stimmen. Und hier beginnt der Widerspruch. Gerade die neuen Hartz-IV-Änderungen bringen zahlreiche Verschärfungen mit sich: Subjektives Ermessen bei sog. „sozialwidrigem Verhalten“ durch die Jobcenter in Form eines zweiten Sanktionsregimes, Möglichkeit der Erzwingungshaft bei Nichtzahlung von Bußgeldern oder Geldbußen bis zu 5.000 Euro, wenn Vermögen verschwiegen wird.

Dazu Bürgerschaftsabgeordnete Hannemann: „Es ist ein kleiner (Fort)schritt, dass die Grünen heute für die Abschaffung der Sanktionen innerhalb der Jobcenter und den Arbeitsagenturen gestimmt haben. Wenn allerdings die Bundesspitze weiterhin nur bei einer Evaluierung stehen bleibt, ist auch dieser (Fort)schritt ein Status Quo der derzeitigen Sanktionspraxis. Die Bundesspitze sollte erkennen, dass eine Mehrheit ihrer Delegierten genau dieses ablehnen. Alles andere bleibt abzuwarten und zu beobachten. Ich denke, hier sind noch sehr dicke Bretter zu bohren.“

Quelle Widersprüche / Klagen / Sanktionen: Bundesagentur für Arbeit