Wahlstand der SPD

In monatelangen Castings-Shows haben die SPD-Mitglieder ihre gewünschte neue Parteispitze gewählt. Sie haben die Seeheimer-Kreis-Kandidaten über die Klinge springen lassen und sich für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans entschieden. Beide gelten als eher linksorientiert. 

Die rote alte Tante wagt einen Neuanfang. Und was gibt es besseres als Parteitage dafür zu nutzen? Sie sorgen für eine große Aufmerksamkeit und sind gleichzeitig ein Ventil. Der Druck in den vergangenen Monaten war groß: Umfragewerte sanken in den Keller, die Diskussion um den Verbleib in der GroKo ist noch nicht ausgestanden und ihre überschaubaren Koalitionserfolge werden kaum wahrgenommen. Wenn der Druck an einer bestimmten Stelle zu groß wird, muss die Luft an einer anderen heraus. Konträr stehen sich der konservative Flügel, um den Seeheimer Kreis, dem linken Flügel gegenüber. Das knappe Ergebnis um die Wahl einer neue Parteispitze zeigte die Zerrissenheit auf. Es gibt viele Baustellen. Vielleicht zu viele Baustellen, um diese auf dem Parteitag fertigzustellen. Dazu soll als Hilfe ein 15-seitiger Leitantrag dienen: „Aufbruch in die neue Zeit“. Das klingt futuristisch. Eine große Baustelle ist seit 15 Jahren Hartz IV und die Sanktionen. Man könnte fast vermuten, dass die Verfasser des Leitantrages sich an der Lebenszeit von Hartz IV linear an die Seitenanzahl orientiert haben. So steht auf Seite 14:

„Wir wollen den durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts angestoßenen Reformbedarf bei Hartz IV nutzen, um den Sozialstaat in Richtung unseres Sozialstaatskonzepts weiter zu entwickeln. (…) Sanktionen müssen nicht zuletzt aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils deutlich eingeschränkt werden, die Regelungen zu den Bedarfsgemeinschaften müssen reformiert werden.“ 

Wenn es die SPD mit ihrem „Aufbruch in die neue Zeit“ ernst meint, müsste dieser Punkt komplett revidiert werden. Davon sind sie aber weit entfernt. Von der Abschaffung der Sanktionen wird ein „deutlich eingeschränkt“ – und dieses auch nur, weil inzwischen das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt hat. Damit übernahm Karlsruhe die eigentliche politische Aufgabe über die Sanktionen nachzudenken, um dann festzustellen, dass diese in Teilen verfassungswidrig sind. Eine Entscheidung, der bis heute aus dem Weg gegangen wurde. Es ist im Sinne der derzeitigen Parteispitze, dass die Forderung Sanktionen komplett abzuschaffen zumindest im Leitantrag keine Schmerzen bereitet. Dabei sollten sie es eigentlich als Exekutive sein, die dem Sanktionen-Graus ein Ende bereitet. Es wäre eine Chance gewesen zumindest diese Baustelle zu beenden. Diese kann man nutzen oder vermasseln. Gegenwärtig sieht es so aus, dass keine Seite irgendwas riskieren möchte. Das ist, was man einen Widerspruch nennt. Für die SPD scheint es weniger interessant zu sein, die Agenda 2010 als eine Ursache für ihren eigenen Verfall zu erkennen. Und dieser wird fortgeschrieben werden, wenn der politische Mut für einen Aufbruch fehlt. Es bleibt bei der Frage, ob es klug ist, aus taktischen Gründen eine Formulierung zu wählen, die niemanden vergrätzt. Dafür sind die Wählerschaft und insbesondere die Menschen in Hartz IV zu komplex. Gerade ihre Erfahrungen mit den Jobcentern sind prägend. Da gibt es kein bisschen sanktionieren. Mit jeder Sanktion wird das eigentliche Existenzminimum gekürzt. Und mit Recht gibt es hier kein Verzeihen gegenüber einer Partei, die für den Schlamassel ursprünglich mitverantwortlich ist. Da sind die Jusos und die als links geltenden SPDler schon weiter, wenn sie die Abschaffung der Sanktionen über einen Antrag fordern. Der neuen Parteispitze bleibt im Endeffekt nichts anderes übrig, ihre Worte:

„Klar ist aber auch: Bürgerinnen und Bürger erwarten Antworten im Hier und Jetzt“, 1:1 umzusetzen und ehrlich gemeinte Antworten zu geben. Dafür hatten sie immerhin 15 Jahre Zeit.