Kommentar / Schnellanalyse – Arbeitsmarktpolitik
letztes Update: 8. Februar 2018
Der Entwurf des zukünftigen Koalitionsvertrages zwischen der Union und der SPD wurde ja bereits gestern Abend „geleakt“. Inzwischen ist auch der vollständige Koalitionsvertrag öffentlich. Meine Zeilennummern orientieren sich daran. Die Große Koalition 3.0 wird weiterhin so agieren wie in den letzten Jahren und das Arbeits- und Sozialministerium bleibt in der Hand der SPD (vorbehaltlich des SPD-Mitgliederentscheids). Die Rechtsverschärfungen in der Arbeitsmarktpolitik, hier Hartz IV, sind mir noch gut in Erinnerung.
Der Koalitionsvertrag verspricht, dass mit einem ganzheitlichen Ansatz die Qualifizierung, Vermittlung und Reintegration von Langzeitarbeitslosen vorangetrieben werden soll inklusive Rundumpaket für die ganze Familie. Welche Programme sind dafür geplant?
1. Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber der freien Wirtschaft, gemeinnützigen Einrichtungen und Kommunen. Nichts neues, derzeit nennt es sich Eingliederungszuschuss und muss sich auch hier, wie im neuen Papier am Mindestlohn orientieren.
Die Teilhabe am Arbeitsmarkt erfolgt dabei sowohl auf dem ersten Arbeitsmarkt als auch auf dem sozialen Arbeitsmarkt z.B. durch Lohnkostenzuschüsse. Das schließt Arbeitgeber der freien Wirtschaft, gemeinnützige Einrichtungen und Kommunen ein. (Zeilen 2246 – 2248)
2. „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“ – erinnert mich irgendwie an das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, welches in Kritik aufgrund mangelnder Teilnahme (rd. 13.000 in 2017) steht. Gefördert werden sollen damit 150.000 Menschen. Über die Beschäftigungsdauer der einzelnen Maßnahme und den Voraussetzungen für die freie Wirtschaft usw. ruht erst mal ein Stillschweigen.
Dazu schaffen wir u.a. ein neues unbürokratisches Regelinstrument im SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“. Wir stellen uns eine Beteiligung von bis zu 150.000 Menschen vor. Die Finanzierung erfolgt über den Eingliederungstitel, den wir hierfür um vier Milliarden Euro im Zeitraum 2018 – 2021 aufstocken werden. (Zeilen 2250 – 2254)
3. Für Bezieherinnen und Bezieher des Arbeitslosengeldes I (Arbeitsagentur) sollen innerhalb von drei Monaten nach entstandener Arbeitslosigkeit Maßnahmen entwickelt werden, um ihre Beschäftigungsfähigkeit nachhaltig zu fördern. Kurz gesagt: Ein Programm, um schneller in eine erneute Tätigkeit oder so? zu gelangen. Es wird nicht näher erläutert.
Innerhalb von drei Monaten nach entstandener Arbeitslosigkeit soll die Bundesagentur für Arbeit mit den betroffenen Menschen Maßnahmen entwickeln, um ihre Beschäftigungsfähigkeit nachhaltig zu fördern. (Zeilen 2278 – 2280)
4. Das arbeitsmarktpolitische Programm Passiv-Aktiv-Transfer soll nun länderübergreifend bundesweit eingeführt werden. Dieses Programm erschafft sozialversicherungspflichtige, i.d.R. befristete Arbeitsplätze für Langzeiterwerbslose. Über die Form, Dauer oder Umfang ist nichts erwähnt.
Wir ermöglichen außerdem den Passiv-Aktiv-Transfer in den Ländern. Der Bund stellt dazu die eingesparten Passiv-Leistungen zusätzlich für die Finanzierung der Maßnahmen zur Verfügung. (Zeilen 2254 – 2257)
Jugendberufsagentur: Die Koalition möchte einen erleichterten Datenaustausch, einschließlich der Schülerdaten zu den Jugendberufsagenturen herstellen. Ziel ist die Verbesserung der Zusammenarbeit von beteiligten Institutionen, um so einen erfolgreichen Werdegang zu unterstützen. Was sie unter erleichterten Datenaustausch verstehen, ist nicht definiert. Ebenso wenig sind die beteiligten Institutionen benannt. Bei den Jugendberufsagenturen sind es bisher die Schulen, das Jugendamt sowie die örtlichen Handelskammern. Schülerdaten wurden bisher über die Schulen erfasst und anschließend an die Jugendberufsagenturen oder Jobcenter übermittelt. I.d.R. füllten dabei die Erziehungsberechtigten einen Datenbogen aus. Kinder, deren Eltern oder Elternteil Arbeitslosengeld II beziehen, sind ab dem 15. Lebensjahr automatisch komplett erfasst.
Durch einen erleichterten Datenaustausch einschließlich der Schülerdaten sollen die Transparenz am Übergang von der Schule in Ausbildung erhöht und die Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen verbessert werden, um so einen erfolgreichen beruflichen Werdegang zu unterstützen. Dies ist z.B. für die Jugendberufsagenturen wichtig, um den Übergang Schule Beruf erfolgreich begleiten zu können. (Zeilen 2299 – 2304)
6. Zeitarbeit / Leiharbeit = Arbeitnehmerüberlassung. In Kürze: Keine Änderung, außer dass man dieses 2020 evaluieren möchte.
Wir wollen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz 2020 evaluieren. (Zeile 2382)
Werkverträge: Keine Erwähnung
8. Befristungen / sachgrundlose Befristungen: Gilt erst für Betriebe mit mehr als 75 Beschäftigten. Davon dürfen dann maximal 2,5 Prozent sachgrundlos befristet werden. Liegt kein sachlicher Grund vor, darf der Arbeitsvertrag statt wie bisher 24 Monate nur noch 18 Monate befristet sein. Weiterhin darf er nur noch 1x verlängert werden.
Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen. Deshalb dürfen Arbeit-geber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen. Die Quote ist jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen. Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig, bis zu dieser Gesamtdauer ist auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich. (Zeilen 2341 – 2350)
9. Kettenbefristungen: Werden zwar in Zukunft begrenzt, allerdings erst dann, wenn eine mindestens fünfjährige Beschäftigung beim selben Arbeitgeber vorlag.
Wir wollen nicht länger unendlich lange Ketten von befristeten Arbeitsverhältnissen hinnehmen. Eine Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist dann nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere be- fristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden haben. (Zeilen 2352 – 2356)
10. Mindestlohn: Keine Vorschläge zur / Veränderung / Erhöhung des Mindestlohns
Die Gelder für Eingliederungsmaßnahmen werden in der kommenden Legislaturperiode um jährliche 1 Million Euro aufgestockt. „O-Ton Arbeitsmarkt“ hat sich dazu bereits schon mal geäußert und festgestellt, dass auch mit den zusätzlichen Mitteln weniger Geld für Fördermaßnahmen zur Verfügung stehen als 2010 die rasante Kürzung stattfand.
Auch nach dem Runterschreiben der geplanten Fördermaßnahmen bleibt bei mir der fade Beigeschmack, dass es ein „Weiter so!“ 3.0 in der Arbeitsmarktpolitik gibt. Gedanken über eine zwingend notwendig angepasste menschenwürdige Regelleistung bei Hartz IV und in der Grundsicherung kommen gar nicht vor. Ebenso keine Benennung der existenzvernichtenden Sanktionen beim SGB II oder der Arbeitslosengeld I-Sperre. Die Profilierung der 25 Euro Kindergelderhöhung über zwei Schritte in 2019 und 2021 kommt bei den Erwerbslosen nicht an. Diese Erhöhung wird vollständig beim Arbeitslosengeld II gegengerechnet. Das betrifft derzeit rund 2 Millionen Kinder und deren Eltern. Es ist beschämend, wenn der Koalitionsvertrag schreibt, dass Familien und Kinder im Mittelpunkt stehen und bisherige Ausnahmen bestehen bleiben. Die Armut steigt vor allem bei Alleinerziehenden und Kindern. Die nachhaltige Armutsbekämpfung ist eigentlich ein Mammutprojekt, welches unverzüglich umzusetzen ist. Dazu gehören eine Kindergrundsicherung, existenzsichernde Sozialleistungen und ein Mindestlohn von 12 Euro. Im Koalitionsvertrag sind dazu nicht annährend Lösungen zu erkennen. Wir erleben hier eine weitere Zementierung der sozialen Ungleichheit. Ein bisschen Wunden tätscheln reicht nicht aus. Die OP-Wunde ist größer. Die Ohnmacht, das Gefühl und das reelle Erleben von Ungleichheit führt zur Stärkung der Populisten, ein Treten nach Unten, Politikverdrossenheit und gefährdet den sozialen Frieden.
Weitere Schnellanalysen:
Vorläufige Bewertung der GroKo-Ergebnisse zur Rentenpolitik von M.W. Birkwald, MdB (DIE LINKE)
Schnell-Analyse des Koalitionsvertrages aus Sicht der Behindertenpolitik über „AbilityWatch“