Das fängt ja gut an. Die Große Koalition 3.0 ist gerade mal bestätigt und der zukünftige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bewegt sich dort, was er beherrscht: Populismus. Mit seiner Aussage, dass Hartz IV keine Armut bedeute, sondern die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut sei, empört die Gemüter. Weiter führt er aus:

„Die gesetzliche Grundsicherung ist mit großem Aufwand genau bemessen und wird regelmäßig angepasst. Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. Diese Grundsicherung ist aktive Armutsbekämpfung! Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht. Mehr wäre immer besser, aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.“

Dass gerade Politikerinnen und Politiker schauen, dass sie auch mit populistischen Aussagen irgendwie und irgendwelche Aufmerksamkeit erregen, ist bekannt. Dafür ist jede Methode recht. Und sei es die Plattform eines Landtages oder des Bundestages. Schließlich ist auch eine negative Public Relation eine gute. Klingt einfach, ist einfach. Macht es aber nicht besser und manchmal frage ich mich schon mit welchen platten Attitüden man uns / mich abspeisen möchte. Aber schaue ich mir mal das Zitat näher an.

„Die gesetzliche Grundsicherung ist mit großem Aufwand genau bemessen (…)“

Die Regelsätze für das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) und der Grundsicherung werden in einer sogenannten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) durchgeführt und erfasst. Das erfolgt alle fünf Jahre im Rahmen einer stichprobenartigen Befragung durch das Statistische Bundesamt in bis zu rund 75.000 Haushalten. Die 3-monatige Befragung erfasst die persönliche und soziale Situation, Vermögen, Wohnverhältnisse, Höhe des Einkommens sowie die Ausgaben und deren Verwendungszwecks. Die Auswertungen dieser Werte kann durchaus mit einem großen Aufwand bezeichnet werden. An dieser Berechnungsmethode gibt es große Kritik. So liefert zwar die EVS eine statistische IST-Analyse Auswertung des Ausgabeverhaltens einzelner Gruppen; um jedoch ein tatsächliches Existenzminimum zu errechnen, sollte eine Soll-Größe als Grundlage dienen, um so den Mindestwert für eine Teilhabe zu ermitteln. Gerade Menschen mit einem niedrigen Einkommen budgetieren ihre Ausgabe streng nach der Notwendigkeit. Ihr Einkommen, ihre Sozialleistungen spiegeln nicht ein vollständiges Konsumverhalten wieder. Vielmehr ersparen sie sich eventuelle gespartes Geld für elementare notwendige Dinge, welches nicht erfasst wird.

(…) „und wird regelmäßig angepasst.“

Die letzte Anpassung anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bei den Sozialleistungen erfolgt auf Zahlen aus 2008. Die Aussage von Spahn, dass sie regelmäßig angepasst werden, stimmt so also nicht. Spahn verwechselt die Anpassung mit der automatischen jährlichen Erhöhung von Sozialleistungen am Preisindex und den unteren Gehältern. Diese stehen im Verhältnis von 70% zu 30% und führt dann zu einer jährlichen Erhöhung von durchschnittlichen monatlichen 5 Euro pro Person.

„Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut.“

Der Begriff „Armut“ wird in drei Kategorien eingeteilt: Absolute, Relative und die Gefühlte Armut. Wird die absolute Armut in der täglichen Verfügbarkeit einer Geldsumme berechnet, um die lebenswichtigen und notwendigen Grundbedürfnisse zufrieden zu stellen, geht man bei der relativen Armut auf die Vorstellung sozialer Ungleichheit. In Deutschland gilt als relativ arm, wer maximal 50% des Medianeinkommen einer Bevölkerungsgruppe zur Verfügung hat, definiert Armut.de. Wer also weniger Einkommen als die Hälfte des Durchschnittseinkommens hat, gilt als relativ arm. Im Gegensatz zur absoluten und relativen Armut bezeichnet die gefühlte Armut keine Einkommensgrenze, sondern ein subjektives Gefühl und Bewusstsein der Betroffenheit. Das können unerwartete Einkommensverluste sein, aber auch der Bezug von Sozialleistungen. Hier möchte ich näher darauf eingehen. Natürlich gibt es Arbeitslosengeld-II-Betroffene, die mit den rund monatlichen 400 Euro auskommen und sich nicht arm fühlen, sondern sich damit entsprechend eingerichtet haben. In Gesprächen mit diesen Menschen stelle ich dann jedoch fest, dass sie oftmals nur alle zwei Tage warm essen. Dass jede Extraausgabe, die eben auch eine sozio-kulturelle Teilhabe möglich macht, mehrfach überlegt wird, ob es denn nötig sei, verliert sich gerne in den Debatten. Die mir bekannten Mehrheiten empfinden sich jedoch als arm. Spahn verdrängt in seiner Aussage, dass die Sozialleistungen Grundbedürfnisse abdecken, aber eben keine Sonderausgaben hinzukommen dürfen. Zuzahlungen zur Miete, zum Schulbedarf der Kinder, nicht verschreibungspflichtiger, aber notwendigen Medikamenten oder zu den Energiekosten werden durch die Aussage Spahns ganz vergessen. Diese Sonderausgaben, wobei sich die Liste unendlich verlängern lässt, reduziert den Hartz-IV-Satz oder die Grundsicherung schmerzlich. In dem Fall wird aus der gefühlten Armut eine absolute Armut, da auch die Grundbedürfnisse entsprechend minimiert werden oder eben nicht befriedigt werden können.

Wenn Spahn nun die Solidargemeinschaft ins Spiel bringt, verdrängt er ebenfalls, dass nicht wir als Solidargemeinschaft für die Höhe eines Existenzminimums verantwortlich sind, sondern es uns vorgegeben wird. Deren Höhe bestimmt die Bundesregierung und deren beteiligten Parteien. Armut wird somit auch erzeugt. Und, wenn er dann erwähnt:

„Diese Grundsicherung ist aktive Armutsbekämpfung! Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht.“

Frage ich mich schon, warum dann 1,5 Mio. Menschen zur Tafel gehen und wir eine knapp 20-prozentige Quote von Armut oder sozialer Ausgrenzung haben, inwiefern das eine aktive Armutsbekämpfung ist. Über Armut zu reden ist wichtig, über Reichtum und deren fehlenden Umverteilung zu reden, wäre und ist auch wichtig. Diese Komponente fehlt mir jedoch vielfach in den Diskussionen um Armut und Wohlstand.

„ (…) aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.“

Nun kommen wir zum kompletten Blackout von Spahn. Spahn hat seine Ausbildung zum Bankkaufmann, Studium erfolgte später, 2001 abgeschlossen. Mit 22 Jahren kommt er 2002 in den Bundestag. Eine Tätigkeit, welche von Steuerzahlern finanziert wird. Erwerbslose, Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung, Armutsrentnerinnen und Rentner, Aufstockerinnen und Aufstocker mit Hartz IV unterstützen den Lebensunterhalt von Spahn zum Beispiel mit jedem Einkauf oder ihrer aufstockenden Tätigkeit, genauso wie Erwerbstätige. Wir sind seine Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber!

Mir geht es hier gar nicht so um Jens Spahn, sein Populismus ist bekannt, sondern vielmehr darum, wie einzelne Politiker ihre Polit-Showbühne missbrauchen, um ihr eigenes unreflektiertes Gesülz zu verbreiten – für ein bisschen Aufmerksamkeit. Aber zum Schaden von Betroffenen. Dass sie sich in ihrer Würde verletzt fühlen, sich empören ist mehr als verständlich.

Adam Smith (Nationalökonom, Philosoph, 1723-1790) stellte fest:

„Keine Gesellschaft kann gedeihen und glücklich sein, in der der weitaus größte Teil ihrer Mitglieder arm und elend ist.“

 

Weiterführende Quellen:

armut.de

Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) – Destatis