Kommentar
Der SPD Leitantrag Entwurf für das Regierungsprogramm 2017, dachte ich, sei eine Herausforderung. Dachte ich. Nach Durchsicht, insbesondere der Bereich Arbeitsmarktpolitik, belehrte mich eines Besseren. Nein, er enttäuschte. Zwangsläufig kommen mir manche Worte von Martin Schulz in den Sinn. So verkündete er in Interviews sinngemäß, dass es das beste Programm seit Willy Brandt sei.
Quo vadis, Schulz?
Zu den einzelnen Punkten.
Die Pflege von Angehörigen zwingen Angehörige häufig dazu, ihren Beruf aufzugeben. Die Folge ist die Gefahr in den Bezug von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) zu rutschen. Der Leitantrag schlägt nun eine Lohnersatzleistung in Höhe und Umfang für bis zu drei Monaten analog des Elterngeldes vor, wenn die Arbeitszeit für drei Monate ganz oder teilweise reduziert wird. Darüber hinaus soll das „Familiengeld für Pflege“ in Höhe von 150 Euro monatlich bezahlt werden. Hierzu ist jedoch ein Arbeitsumfang von 26 bis 36 Stunden notwendig. Drei Monate ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, der i.d.R. nicht die tatsächliche Dauer einer Pflege abdeckt.
Flächendeckende Jugendberufsagenturen sollen den Übergang von Schule in den Beruf unterstützen. Jugendberufsagenturen haben den Zweck die derzeitigen Jobcenter aufzuputschen. Ab Klasse 8 erfolgt zumeist die Erfassung aller Schülerinnen und Schüler in die Datei der Jobcenter. Beziehen die Eltern auch nur einen Euro Hartz IV, so landen auch deren Kinder im Jobcenter sobald sie 15 Jahre jung sind. Der Entwurf äußert sich nicht dazu, ob bis dahin die pädagogischen Qualifikationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern tatsächlich vorhanden sind und sie auch gewillt sind, diese als nicht schwarze Pädagogik anzuwenden. Auch Jugendberufsagenturen sind den restriktiven Gesetzen des Sozialgesetzbuches II unterworfen.
Befristungen, Befristungen …
Schwammig bleibt es erneut bei den Sachgründen für Befristungen und der Möglichkeit von Kettenbefristungen. Zwar möchte die SPD die sachgrundlosen Befristungen abschaffen, jedoch liefern sie keine Erläuterungen welche Sachgründe sie bei Befristungen einschränken wollen und auf welcher Höchstgrenze Kettenbefristungen begrenzt werden sollen. Im Umkehrschluss heißt es nichts anderes, als das Befristungen über Schleichwege möglich bleiben und somit auch Kettenbefristungen. „Arbeit auf Abruf“ soll weiterhin möglich sein, allerdings wünscht man sich eine Eindämmung in der Verbreitung.
Alles neu macht … die Arbeitsversicherung
„Neue Schuhe – alter Lack“ ist im Vorschlag zur unabhängigen Beratung bei der Bundesagentur für Arbeit zu lesen, sofern man noch beschäftigt ist. Nichts neues, außer der Name: Arbeitsversicherung. Interessanter klingt hier der Vorschlag eines Entwicklungskontos nach Eintritt in das Berufsleben, das zur Absicherung von Weiterbildungszeiten genutzt werden kann. Das Startguthaben bleibt jedoch im Programm die Variable X.
Und damit bin ich beim Arbeitslosengeld Q, von dem rund 2/3 der Erwerbslosen keinen Nutzen haben, weil sie entweder schon in Hartz IV sind oder aufgrund der nicht zu erreichenden Anwartschaft des Arbeitslosengeldes I nicht in diesen Genuss kommen werden. Ein ähnliches Prinzip nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ist bereits vorhanden. Die Rahmenfrist zum Bezug des Arbeitslosengeld I möchte die SPD verkürzen. Bis dato gilt: Mindestens zwölf Monate innerhalb der letzten zwei Jahre muss eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden sein. Neu soll gelten: Zehn Monate sozialversicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb von drei Jahren.
Die öffentlich geförderte Beschäftigung, das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe“ oder Angebote für Alleinerziehende bleiben ebenso eine Variable X. Vielmehr möchte man nun Langzeiterwerbslose, die wegen der Anrechnung von Partnereinkommen keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, in die Beratung der Weiterbildung mit aufnehmen. Ein mutiges Unterfangen, wenn man den seit 2010 reduzierten bzw. stagnierenden Topf für Qualifizierungen näher betrachtet. Aber auch hier: Variable X der Summe.
Aus der Reihe fallen …
Die erneute Forderung das restriktive Sanktionsregime bei den unter 25-Jährigen zu entschärfen und den über 25-Jährigen anzugleichen, ist ein Doppelpass. Bei der Umsetzung der neunten Hartz-IV-Gesetzänderung sind sie eingeknickt, als die CSU diese Forderung ablehnte. Nur mal so zur Erinnerung.
Ältere und Langzeiterwerbslose spielen für die SPD innerhalb der Arbeitsmarktpolitik kaum eine Rolle. Dabei stagnieren gerade die Arbeitslosenzahlen bei 55+ und den Langzeiterwerbslosen auf einem hohen Stand. Dieser Entwurf bleibt dem Leitsatz treu: „Wir wollen etwas für die hart Arbeitenden tun.“ Wer nicht arbeitet, findet auch diesmal kaum oder keine Beachtung. Das gilt sowohl für das derzeitige harte Sanktionsregime, beim Regelsatz des Arbeitslosengeldes II sowie bei den Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld I. Und damit rutscht die SPD der Großen Koalition entgegen. Aber vielleicht ist genau dieses das Ziel. Eine Regierung mit und vielmehr unter Merkel. Sozial geht anders. Und sozial bindet alle Menschen ein – ohne Ausnahmen. Die SPD hätte nun die Chance gehabt für soziale Gerechtigkeit zu stehen und ihren Worten Taten folgen zu lassen. Für die Arbeitsmarktpolitik scheint es hier Ausnahmen zu geben. Das hat sie mit diesem Lei(d)antrag verpasst. Eine Enttäuschung.
Weitere Links:
Martin Schulz im Interview zum Programm bei Tagesthemen
Wahlprogramme für die BT-Wahl 2017