Pressemitteilung
Mit der Einführung des § 12a SGB II wurde für die Jobcenter eine Möglichkeit geschaffen, Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten ab dem 63. Lebensjahr mit lebenslangen Abschlägen in die vorzeitige Rente zu zwingen. Zum 1. Januar 2017 gab es im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzänderung auch bei der Zwangsverrentung durch die Jobcenter Änderungen. Demnach ist die vorzeitige Rente nur noch möglich, wenn diese nicht zu einem „Absturz“ in die Grundsicherung führe. In einer Schriftlichen Kleinen Anfrage (Drs. 21/7910) fragte Inge Hannemann (Linksfraktion Hamburg) den Stand der Zwangsverrentung durch Jobcenter team.arbeit.hamburg ab. Auf die Frage nach der Anzahl der vorzeitigen Renteninanspruchnahme der letzten zwei Jahre konnte der Senat keine Zahlen liefern. Ebenso wenig ist bekannt, wie viele zwangsverrentete Leistungsbezieher_innen in den letzten Jahren auf aufstockende Leistungen durch die Grundsicherungsämter angewiesen sind oder gegen den Willen der Betroffenen durch Jobcenter team.arbeit.hamburg in die Rente geschickt wurden. Laut Drucksache (Anlage 1) befinden sich durchschnittlich rund 2.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte im 63. Lebensjahr und damit kurz vor der Zwangsverrentung.
Inge Hannemann, Bürgerschaftsabgeordnete der Linksfraktion Hamburg, kommentiert die Anfrage wie folgt:
„Der Senat erweckt den Eindruck, die derzeitige Praxis der Zwangsverrentung und deren sozialen Folgen für die Betroffenen durch Ignoranz verschleiern zu wollen. Die Zwangsverrentung durch die Jobcenter ist und bleibt ein Skandal. Jede und Jeder sollte das Recht haben, selbst zu entscheiden, wann sie oder er in Rente geht.“
Hannemann fordert den Senat auf, sich für die Abschaffung der Zwangsverrentung durch die Jobcenter im Bundestag einzusetzen. Dies gelte auch für die Berechtigung der Jobcenter, unabhängig vom Willen der betroffenen Personen für diese einen Rentenantrag zu stellen. Nur so kann stückweise der Altersarmut entgegengewirkt werden.
Dazu ergänzt Rechtsanwalt Felix Horbach (Hamburg):
Hintergrund:
Diese Möglichkeit, von welcher die Jobcenter in der Folge regen Gebrauch machten, führte in vielen Fällen dazu, dass auch solche Leistungsbezieher verrentet wurden, die aufgrund geringer Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung zur Sicherung ihres Lebensbedarfs auf ergänzende Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII – angewiesen waren. In diesen Fälle erfolgte letztlich nur eine Umschichtung innerhalb der staatlichen Hilfesysteme nach dem Grundsatz „linke Tasche – rechte Tasche“.
Während diese Fälle lediglich die Zweckmäßigkeit der Regelung in Frage stellten erzeugte die Gesetzesänderung eine weitere Kategorie von Fällen in denen sich die Regelung nicht nur als Unzweckmäßig sondern sogar als aktiv schädlich erwies.
Bei Beantragung einer vorgezogenen Altersrente wird durch die Rentenversicherungen ein Abschlag von ca. 0,3 Prozent pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme gegenüber der „normalen“ Regelaltersrente vorgenommen. In der Folge verloren die Opfer dieser Maßnahme bis zu 10% ihres Rentenanspruchs. Speziell bei Geringverdienern und Frauen führte dies häufig dazu, dass durch den Rentenantrag des Jobcenters eine Hilfsbedürftigkeit im Alter erst erzeugt wurde. Dass eine derartige Regelung letztlich systemwidrig ist wurde schnell erkannt. Zahlreiche Landessozialgerichte erließen in der Folge Urteile und Beschlüsse in denen eine Zwangsverrentung in derartigen Fällen für „unbillig“ und damit unzulässig erklärt wurde.
Mit Urteil vom 19.08.2015 trat das Bundessozialgericht im Verfahren B 14 AS 1/15 R dieser Rechtsauffassung entgegen. Eine derartige Ausnahme könne nur durch den Gesetzgeber selbst normiert werden. In der Folge erließ das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die „Erste Verordnung zur Änderung der Unbilligkeitsverordnung“. Mit dieser wurde mit Wirkung zum 01.01.2017 die Rechtsprechung der Landessozialgerichte zum Gesetz. Eine Zwangsverrentung war ab diesem Zeitpunkt nur noch möglich, wenn diese nicht zu einem „Absturz“ in die Sozialsysteme führte.