Eines muss ich ja unserem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu Gute halten: Das Hamsterrad bei Hartz IV lässt er am laufen und entwickelt Ideen. Subjektiv scheint er kreativer zu sein, als in den vergangenen Jahren Nahles und von der Leyen. So bringt Heil nun einen Referentenentwurf zum „Zehnten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch“ ein. Wir erinnern uns: das Neunte Änderungsgesetz trat im August 2016 ein mit dem Ziel eine Bürokratievereinfachung zu erreichen. Nun also das Zehnte Änderungsgesetz. Dieses fokussiert sich auf Langzeiterwerbslose auf dem regulären und sozialen Arbeitsmarkt, um das Ziel der Vollbeschäftigung zu erreichen.
Der Referentenentwurf schreibt dazu:
Angestrebt wird, Menschen, die schon sehr lange arbeitslos sind, wieder eine Perspektive zur Teilhabe am Arbeitsmarkt zu eröffnen. Mit einem ganzheitlichen Ansatz soll die Beschäftigungsfähigkeit durch intensive Betreuung, individuelle Beratung und wirksame Förderung verbessert und arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen zugleich vermehrt Beschäftigungsoptionen auf dem allgemeinen oder sozialen Arbeitsmarkt angeboten werden. (…) Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes sollte vielmehr auch die Reintegration von Personen mit einer längeren Dauer von Langzeitarbeitslosigkeit in den allgemeinen Arbeitsmarkt besser unterstützt werden.
Teilhabe am Arbeitsmarkt
Die monatlichen Arbeitslosenzahlen vermelden Monat für Monat einen Rekordtiefstand. Die rund 1 Million „vergessenen“ Erwerbslosen aus der Statistik nicht mit einberechnet. Heil erkennt richtig, dass Erwerbslose in Hartz IV schon sehr lange im Leistungsbezug sind. Die Grafik der Bundesagentur für Arbeit zeigt auf, dass im Juni 2018 rund 814 Tausend Menschen langzeiterwerbslos gemeldet waren.
Diese wird, ebenfalls nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit, zwischen 12 Monaten und 48 Monaten und länger angegeben. Hier setzt das Bundesarbeitsministerium an und spricht von einem neuen Instrument zur „Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Demnach werden
Arbeitsverhältnisse mit erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen, die seit mindestens sechs Jahren Leistungen (Arbeitslosengeld II) beziehen und in dieser Zeit nicht oder nur kurz erwerbstätig waren, gefördert.
Wieder ein Blick in die Statistik der Bundesagentur für Arbeit offenbart, dass bei 48 Monaten und länger rund 208 Tausend registriert sind. Die Tiefe der Statistik weist bei 5 Jahren und länger rund 147 Tausend im Jahr 2017 Berechtigte aus. Und damit kommen wir der Zahl des Koalitionsvertrages von 150 Tausend Geförderten schon sehr nahe. Siehe auch hierzu mein Kommentar aus dem Februar. Arbeitgeber, die bereit sind, Langzeiterwerbslose einzustellen erhalten zwei Jahre einen vollständigen Lohnzuschuss des gesetzlichen Mindestlohns. In den darauffolgenden drei Jahren reduziert er sich jeweils um zehn Prozent. Somit beträgt die maximale Förderdauer bis zu fünf Jahre. Der Arbeitsvertrag kann von Beginn an auf fünf Jahre befristet werden. „Betreuung“, Weiterbildung und betriebliche Praktika sind parallel möglich. Mit dem Wort „Betreuung“ habe ich persönlich so meine Probleme und ersetze es lieber mit Begleitung. Wozu nun innerhalb eines Arbeitsverhältnisses ein betriebliches Praktikum vorgeschlagen wird, entzieht sich meinen Kenntnissen. Rollentausch unter Arbeitgebern à la „Frauentausch“? Aber weiter im Text. Im ersten Jahr der Förderung erhält der neu Beschäftigte eine regelmäßige beschäftigungsbegleitende „Betreuung“ durch die Agentur für Arbeit oder durch einen Dritten. Auch hier werden die angemessenen Kosten entsprechend übernommen. Es wird davon ausgegangen, dass Langzeiterwerbslose nicht mehr up to date sind. Aus diesem Grund werden erforderliche Weiterbildungen oder ein betriebliches Praktikum bei einem anderen Arbeitgeber mit einem Zuschuss von bis zu 50 Prozent der Weiterbildungskosten gefördert. Höchstens jedoch bis zu 1.000 Euro je Weiterbildung.
Kündigung möglich?
Können die Leistungsberechtigten einfach so ihren neu geförderten Arbeitsplatz verlassen? Ja. Sofern die Agentur für Arbeit diese in eine zumutbare Arbeit oder Ausbildung vermitteln kann oder die Förderung aus anderen Gründen beendet wird. Ebenso gilt dieses gleichermaßen für die Leistungsberechtigten. Hier sogar ohne Einhaltung einer Frist.
Welche Einschränkungen gibt es für die Arbeitgeber? Keinen Zuschuss gibt es, wenn vermutet wird, dass die Arbeitgeber einen bisherigen regulären Arbeitsplatz beenden, um an die Förderung durch einen Langzeiterwerbslosen zu gelangen. Das neue Gesetz soll zum 1. Januar 2019 in Kraft treten.
Der neue Lohnkostenzuschuss
Komme ich zur nächsten Kreativität aus dem Hause der Arbeit: Ein neuer weiterer Lohnkostenzuschuss. Zwei Jahre „Arbeitslosigkeit“ reichen aus, damit die Arbeitgeber pauschal im ersten Jahr 75 Prozent und im zweiten Jahr die Hälfte an Lohnzuschüssen erhalten. Das Arbeitsverhältnis muss für mindestens zwei Jahre abgeschlossen werden und eine sog. Nachbeschäftigungszeit von sechs Monaten umfassen. Anders als beim derzeitigen Eingliederzuschuss fehlen hier Merkmale wie „Minderleistung“ oder das „Vorliegen von Vermittlungshemmnissen“. Ich erinnere mich noch gut an einen Fall, als bei einer Kassiererin ein voller Eingliederungszuschuss beantragt wurde, weil der Führerschein fehlte. Dies galt, zumindest für den Arbeitgeber, als Minderleistung. Ein fahrtechnischer Einsatz war allerdings nicht gefordert oder geplant. Versuch macht bekanntlich klug …
Auch hier hat der Referentenentwurf selbstverständlich eine Begründung parat:
Die einfache und transparente Ausgestaltung des Instrumentes soll es für die Arbeitgeber besonders attraktiv machen, Personen mit einer längeren Dauer von Langzeitarbeitslosigkeit eine Beschäftigungsmöglichkeit zu bieten. Wie der Eingliederungszuschuss (…) setzt auch der neue Lohnkostenzuschuss deshalb darauf, einen finanziellen Anreiz zur Einstellung von Langzeitarbeitslosen zu geben, verzichtet aber auf den Ausgleich einer bestehenden Minderleistung und befördert durch die beschäftigungsbegleitende Betreuung zusätzlich die Beschäftigungsfähigkeit von Langzeitarbeitslosen. (…) Einer weiteren Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit wird vorgebeugt.
Beantragen können den Lohnkostenzuschuss alle Arbeitgeber unabhängig von Art, Branche, Rechtsform oder Region. Das Papier bleibt bei den vier Milliarden Euro Aufstockung bis zum Jahr 2022 (die nächsten Bundestagswahlen wären regulär 2021) analog des Koalitionspapiers der derzeitigen GroKo.
Nun ist das so eine Sache mit neuen Förderinstrumenten und den Jobcentern. In einem Artikel schreibt Prof. Stefan Sell (o-ton Arbeitsmarkt) zum ESF Sonderprogramm für Langzeiterwerbslose:
Die Zielerreichung des Sonderprogramms kommt nur schleppend voran. Nach inzwischen 20 Monaten Laufzeit hat das ESF-Programm rund 10.700 Teilnehmer und damit erst ein Drittel der angestrebten Teilnehmerzahl von 33.000 Personen bis 2020 erreicht.
Woran nun das Schleppende krankt und aus diesem Grund die Zielgruppen erweitert wurden, ist eher unbekannt. Allerdings lobt der Referentenentwurf die intensive Betreuung durch das Jobcenter als zielführend. Eine nähere Erläuterung oder gar eine Evaluierung wird nicht mitgeliefert. Immerhin stellt das Papier in Aussicht, dass die Begleitung auch durch Dritte erfolgen kann. Diese sogar ohne bestimmte formale Qualifikation der Personen. Aus Erfahrungen oder aus Kenntnissen wird man bekanntlich auch klug. Festgestellt wurde aus den Erfahrungen des ESF-Bundesprogramms zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit diese dritten Personen einen Fachhochschul-, oder Bachelorabschluss oder eine andere höhere Qualifikation mitbringen und mindestens zwei Jahre beruflich tätig gewesen sein sollten. Ob jemand geeignet ist oder nicht entscheidet schlussendlich das Jobcenter. Förderungen bewerte ich per se nicht negativ. Mit den neuen Programmen kann jeder Verein, jede Institution oder ähnliches sein Personal kostenlos aufstocken. Alles unter dem Slogan: Beschäftigungsfähigkeit wieder herzustellen. Soziale Einrichtungen, wie die „Tafel e.V.“, die unter akutem ehrenamtlichen Mitarbeitermangel leiden, können aufatmen. Inwiefern Vereine, die Erwerbslosenberatung anbieten davon profitieren, wird man sehen. Hier sehe ich zumindest eine tatsächliche Hilfe für Menschen, die vom Jobcenter abhängig sind. Vielleicht wäre ein Start-Up Unternehmen in diesem Bereich ausbaufähig, welches sich dann als Franchiseunternehmen bundesweit verteilt. Ideen kommen mir viele. Nur mal so am Rande. Immerhin sind ja die Kriterien Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse keine Fördervoraussetzungen, wie bei den Ein-Euro-Jobs.
Bei den Förderprogrammen geht man davon aus, dass sich die Beschäftigungsfähigkeit der Personen erhöht und letztlich Übergangschancen in ungeförderte Beschäftigung geschaffen werden. Sich aus einem Beschäftigungsverhältnis heraus zu bewerben steigert durchaus die Chancen auf einen anderen Arbeitsplatz. Der Stempel „arbeitslos“ tritt erstmal in den Hintergrund. Damit dürften alle 147 Tausend Langzeiterwerbslose, analog der Statistik, beschäftigt sein. Und wie durch ein Wunder werden plötzlich Arbeitsplätze wie Pilze aus dem Boden geschossen kommen. Das Traurige daran ist doch, dass vermutlich, im Untergrund bestehende Arbeitsplätze schwellten, die nun mit kompletter finanzieller staatlicher Subventionierung aus der Taufe gehoben werden. Nur, was passiert, wenn die fünf Jahre oder die zwei Jahre Lohnkostenzuschuss vorüber sind und sich kein neuer Arbeitsplatz findet? Und hier kommt die große Lücke des Papieres: Diese Menschen stehen wieder im Jobcenter, weil nämlich keine Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung abgeführt werden. Kausaler Weise tritt nun die Reduzierung der bestehenden Arbeitskraft auf die Begründung der „Heranführung an den regulären Arbeitsmarkt“. Was nichts anderes impliziert, dass Langzeiterwerbslose ihre Arbeitskraft und ihr Können verloren haben. Allerdings rätsel ich noch immer über den Passus im Konzept:
Ziel ist der mit der geförderten Beschäftigung verbundene Zugewinn an fachlichen und persönlichen Fähigkeiten und Qualifikationen, nicht dagegen der Aufbau neuer Versicherungsansprüche auf Arbeitslosengeld. Bestünde die Möglichkeit solche aufzubauen, könnte dies zu Fehlanreizen bei der Aufnahme der geförderten Beschäftigung führen.
Aha. Im Hinblick auf die Milliardenüberschüsse der Bundesagentur für Arbeit und dem Arbeitslosengeld I mutmaße ich daraus, dass man nach Ende der Förderung nicht an diese Töpfe ran möchte. Oder die Angst besteht, vielleicht auch das Wissen, dass der Übergang in ein dauerhaftes ungefördetes Arbeitsverhältnis schwieriger ist, wie das Papier vermitteln möchte. Inwiefern tatsächlich die subventionierten Arbeitsplätze in ungeförderte Arbeit münden, kann derzeit natürlich nicht seriös vorausgesagt werden. Dass bisherige geförderte Arbeitsstellen nach Auslaufen der Förderungen schlagartig beendet sind, ist bekannt. Dass ich nach fünf Jahren wieder Bittsteller im Jobcenter sein soll, erschließt sich mir nicht. Eher würde sich das Gefühl einschleichen, dass ich Mitarbeiterin zweiter Klasse bin – zumindest beim immer näher kommenden Ende der Förderung. Aber vielleicht erklärt das Hubertus Heil.
Eine fortlaufende Einzahlung in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung sollte zumindest möglich sein.
Hinweis: Der Gesetzentwurf ist noch nicht innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Und hier der Zeitplan dazu.