Die Bundesagentur für Arbeit heimst sich erneut Ärger bei ihrer Darlehensvergabe durch die Jobcenter ein. Diese hat der Bundesrechnungshof erneut kritisiert: Seit 2011 habe „sich die Bearbeitungsqualität der Jobcenter bei der Gewährung von Darlehen nicht verbessert“.
Der Bundesrechnungshof (BRH) moniert in ihrem Prüfbericht die Vergabe von Jobcenter-Darlehen an Erwerbslose. Ziel ihrer Prüfung war es festzustellen, ob sich die Bearbeitung der Darlehensgewährung verbessert habe, unter welchen Voraussetzungen die Jobcenter Darlehen vergeben und wie sie diese abwickelten. Der BRH hatte bereits in der Vergangenheit die Bearbeitungsqualität der Jobcenter bei der Darlehensvergabe kritisiert. Nun scheinen die Prüfer mit ihrer Geduld am Ende zu sein, in ihrer Mitteilung heißt es weiter: „Im Vergleich zur Prüfung aus dem Jahr 2011 sahen wir keinerlei Verbesserung in der Umsetzungspraxis. (…) Wir haben identische Umsetzungsmängel festgestellt.“
Mehr als jedes zweites Darlehen war fehlerhaft
Stichprobenartig prüfte der Rechnungshof 208 Fälle aus fünf Jobcentern von Ende 2017 bis zum März 2018. Das Ergebnis: Jedes zweite vergebene Darlehen hatte Fehler (51,9 Prozent). Häufig wurden falsche Rechtsgrundlagen verwendet, fehlten der Darlehensbeginn, die Fälligkeit und die Rückzahlungshöhe. Unsicherheiten bestünden auch bei der Angabe der Darlehensnehmer*innen. Wurden durch ein Jobcenter alle Hartz-IV-Berechtigten benannt, haben andere Jobcenter dagegen nur die Antragsteller*innen berücksichtigt, obwohl das Darlehen allen zugute kam – wie zum Beispiel ein Kühlschrank. „Die Jobcenter haben ihre Entscheidung, ein Darlehen zu gewähren, zu begründen“, verlangten die Prüfer weiter in ihrem Bericht. Auch weisen sie daraufhin, dass zu dokumentieren sei, warum nur einzelne oder mehrere Mitglieder im Haushalt als Darlehensnehmer*innen bestimmt werden.
Die Jobcenter dürfen Darlehen nur vergeben, wenn Erwerbslose ihren Bedarf nicht durch ihr Vermögen oder auf andere Weise decken können. Das Vermögen wurde in jedem dritten Fall nicht untersucht, was mit der Vorlage eines Kontoauszuges möglich gewesen wäre. Der Rechnungshof stellte fest, dass die Jobcenter es für ausreichend hielten, das Vermögen einmal im Jahr, bei den Weiterbewilligungsanträgen zu überprüfen. Wurde doch eine Prüfung durchgeführt, waren die Ergebnisse häufig nicht nachzuvollziehen. Den Grund sahen die Prüfer in den Textbausteinen, die nicht aufzeigten, welche Unterlagen zur Prüfung vorlagen. „Das SGB II ist als Massenverwaltung auf standardisierte Verwaltungsabläufe ausgelegt, die BA hat somit auch keine prinzipiellen Bedenken gegen die Nutzung der Textbausteinen.“ Innerhalb „kurzer Zeit müssen die Mitarbeiter eine Entscheidung treffen, ob aufgrund einer Notlage ein Darlehen zu gewähren ist“, verteidigte die Bundesagentur für Arbeit ihre derzeitigen Verfahrensweisen.
Energieschulden wurden aus falschen Töpfen beglichen
Verzwickt ist die Rechtslage, wenn Nachzahlungen für Energiekosten zu bezahlen sind oder eine Stromsperre droht. In diesen Fällen müssen die Jobcenter entscheiden, ob ein Darlehen aus dem Bundestopf oder der kommunalen Kasse vergeben wird. Energiekosten Nachzahlungen müssen über ein Darlehen aus Bundesmitteln bezahlt werden. Anders sieht es bei drohenden Stromsperren aus: Hier „liege eine der drohenden Wohnungslosigkeit vergleichbare Situation vor“, verglich der Bericht. Ein Darlehen sei dann über den kommunalen Haushalt zu verrechnen. Erwerbslose müssen jedoch zuvor nachweisen, dass der Stromanbieter keine Ratenzahlung genehmigt. In diesen Fällen war fast jeder Fall (88 Prozent) fehlerhaft. „Dies lag auch an unklaren und fehlerhaften Weisungen“, so die Prüfer. Diese beinhalten keine Trennung von Haushaltsenergie und Heizstrom. Demnach bewilligten die Jobcenter die Darlehen nach einer falschen Rechtsgrundlage, was dazu führte, dass Darlehen unzulässig aus Bundesmitteln und nicht aus kommunalen Mitteln erfasst wurden. Da die Jobcenter aus Bundesmitteln als auch aus Mitteln einer Kommune (Wohnungskosten) finanziert werden, müssen sie hier unterscheiden. Das trifft auch dann zu, wenn ein Energieversorger die Kosten für Strom und Heizung nicht extra auflistet. Bei nachzuzahlenden Stromkosten kommt grundsätzlich ein Darlehen aus Bundesmitteln in Betracht, beschreibt der Bericht. Die geprüften Jobcenter verursachten durch diese Fehler knapp 39 Tausend Euro Kosten zu Lasten des Bundes anstelle zu Lasten der Kommunen. „Dem Bund entstehe so ein nicht unerheblicher Schaden“, kritisierten die Prüfer. „Hochgerechnet auf die bundesweit gewährte Summe aller Darlehen im Jahr 2017 von 73 Millionen Euro würde dies einen Gesamtschaden von 32,18 Millionen Euro bedeuten“, so die Prüfer weiter. Das Bundesarbeitsministerium konterte: „Das Bundesministerium hält die auf der Basis von fünf Jobcentern ermittelte Fehlerquote und Schadenshöhe nicht für seriös.“ Der Rechnungshof hält daran fest, dass nur noch ein Träger für Energiekosten zuständig sein solle.
Schulden für Erwerbslose: Eigentliche Zuschüsse wurden als Darlehen vergeben
Für das Genehmigen von Darlehen oder Zuschüssen stehen den Mitarbeitern Gesetze und interne Weisungen zur Verfügung. Es sind Richtlinien, die ein Darlehen oder ein Zuschuss definieren. So können Erwerbslose einmalige Zuschüsse für eine Erstausstattung einer Wohnung oder bei einer Schwangerschaft beim Jobcenter beantragen. Heizrückstände oder die Reparatur eines therapeutischen Gerätes (z.B. Brille) können ebenfalls bezuschusst werden. Zuschüsse sind eine Extraleistung und müssen nicht zurückbezahlt werden. In 23 von 170 Fällen (13,5 Prozent) wurden diese Leistungen nicht als Zuschuss, sondern als Darlehen ausbezahlt. Das führt zu unnötigen und rechtswidrigen Schulden gegenüber den Jobcentern, welche schlussendlich Erwerbslose ausbaden müssen.
In fast jedem Fall (92 Prozent) prüften die Jobcenter nicht, ob überhaupt ein Darlehen notwendig gewesen sei. Daraus war es dann auch nicht ersichtlich, ob die Darlehenshöhe angemessen war. So erhielt ein Leistungsberechtigter statt 410 Euro nur 350 Euro als Darlehen, nachdem er seinen geänderten Arbeitsvertrag beim Jobcenter einreichte und mitteilte, dass er 800 Euro brutto monatlich verdiene. Da im Arbeitsvertrag kein Nettoauszahlungsbetrag erwähnt war, ging das Jobcenter von einem fiktiven Nettobetrag von 650 Euro aus. Die Berechnung ergab jedoch, dass 410 Euro als zu berücksichtigendes Einkommen auf den Bedarf angerechnet wurden und somit dem Leistungsberechtigten 60 Euro weniger als Darlehen zustand. Das Jobcenter begründete diese Entscheidung nicht.
Grobe Falschberechnung bei der Rückzahlung
Bei rund jedem Zehnten wurden die maximalen zehn Prozent Rückzahlungsquote über- oder unterschritten. Beides entspricht nicht dem gültigen Gesetz. Ein Ermessen dürfen die Jobcenter nicht ausüben. Außerdem stellten die Prüfer fest, dass parallel laufende Darlehen zeitgleich abbezahlt werden mussten. Damit wurden die maximalen zehn Prozent Rückzahlung überschritten. Noch weniger war ein Jobcenter in der Lage, die Anzahl und die Gesamtsumme der offenen Darlehen zu benennen. Das interne IT-System kann dieses nicht filtern, was der Rechnungshof als „sehr bedenklich“ einstufte.
Als Fazit fasst der Rechnungshof die fehlenden und ungenügenden Fachaufsichten zusammen und zweifelt „ob eine „normale“ Fachaufsicht ausreichen wird, um die Fehlerquote zu senken.“ In ihrer Stellungnahme teilt die Bundesagentur für Arbeit mit, dass sie die Fachaufsicht neu ausrichte und insgesamt schärfen wollen.
Hintergrund
Nach § 24 Absatz 1 SGB II können die Jobcenter ein zinsloses Darlehen geben, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann. In dem Fall besteht eine akute Notsituation, wie sie zum Beispiel bei notwendigen Reparaturen, bei einem Diebstahl, Brand oder Verlust entstehen. Ein Darlehen darf nur gegeben werden, wenn die Leistungsberechtigten ihren Bedarf weder durch Vermögen noch auf andere Weise, decken können (§ 42a Abs. 1 Satz 1 SGB II). Dazu muss eine Überprüfung erfolgen, ob überhaupt ein Darlehensanspruch vorliegt und gewährt werden kann, der dann begründet sein muss. Darlehen können aus Bundesmitteln oder aus kommunalen Mitteln vergeben werden:
Darlehen aus Bundesmitteln sind möglich,
wenn ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann (§ 24 Absatz 1 SGB II),
für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen (§ 24 Absatz 4 SGB II),
für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, soweit der Leistungsberechtigte zwar über zu berücksichtigendes Vermögen verfügt, der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens aber nicht möglich ist oder eine besondere Härte darstellen würde (§ 24 Absatz 5 SGB II).
Darlehen aus kommunalen Mitteln sind unter anderem möglich,
für die Instandhaltung oder Reparatur von selbstgenutztem Wohneigentum (§ 22 Absatz 2 Satz 2 SGB II),
für Mietkautionen (§ 22 Absatz 6 SGB II) und
für Schulden aus Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 Absatz 8 SGB II).
Die Höhe des Darlehens hängt maßgeblich davon ab, wie hoch der Bedarf ist. Die Rückzahlung des Darlehens erfolgt mit zehn Prozent ab dem Folgemonat vom gültigen Regelsatz. Bei Arbeitsaufnahme und einem laufenden Darlehen wird die Restsumme sofort fällig (§ 42 (4) SGB II). Bundesweit betrug die Darlehenssumme 2017 73 Millionen Euro. Im Jahr 2011 waren es noch 60 Millionen Euro.
Ergänzende Infos zu gewährten Jobcenter-Darlehen
O-Ton Arbeitsmarkt: „Hartz-IV-Empfänger machen 73 Millionen Euro Schulden bei den Jobcentern