Wahlstand der SPD

Auf dem ordentlichen Parteitag der SPD vom 6. bis 8. Dezember in Berlin hat die Partei einen Beschluss unter dem Namen: „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit: Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ vorgelegt. Ein Parteitag dient der Diskussion von neuen Ideen und den daraus folgenden Beschlüssen. Einstimmig entschied die SPD, dass sie „Hartz IV hinter sich lassen wollen“. Das klingt vollmundig und zeigt zumindest eine gute Absicht. Klebt doch die Agenda 2010 und Hartz IV wie eine lästige Fliege an ihrem Image. 15 Jahre Agenda 2010 zeigen Auswirkungen auf miese Wahlergebnissen und Umfragewerte. Inwiefern die SPD ihr eigenes neues Konzept umsetzen wird, zeigt sich, wenn diese Themen in den Bundestag kommen – sei es von der Opposition oder durch ihre eigenen Anträge und Debatten. Bisher ist nur festzustellen, dass positive Veränderungen für die Arbeitslosengeld-II-Leistungsberechtigten ein schwarzes Loch im Bundestag sind. Hätte das Bundesverfassungsgericht nicht über die Sanktionen entschieden, wären vermutlich bis heute keine Änderungen eingetreten. In Erinnerung sind Debatten, dass Erwerbslose eine Marschrichtung vorgesetzt brauchen. Und sei es mit Bestrafung von Geldkürzungen bis zu 100 Prozent. Es scheint eine neue Erkenntnis aufgetaucht zu sein:

„Es gebe in der gesellschaftlichen Debatte zwei Pole: Jene, die alle Arbeitslosen unter den Verdacht stellten, zu faul zu sein zum Arbeiten – und die anderen, „die jede Form von Mitwirkung schon für einen Anschlag auf die Menschenwürde halten“. Beides sei falsch“, so Hubertus Heil.

Allerdings verwechselt Heil etwas: Bei der Menschenwürde geht es nicht darum, ob jemand mitwirkt oder nicht. Vielmehr ist sie absolut gegeben und stand im Mittelpunkt der Sanktionsdebatten. Es stellte sich die Frage, welche Artikel im Grundgesetz vorgeben, dass Geldkürzungen bis auf Null möglich sind. 

Positiv ist zu bewerten, dass die SPD etwas reifer oder erwachsener geworden ist. Nach 15 Jahren Agenda 2010 sind sie nun im besten Teenageralter oder in der Pubertät. 

Das neue Konzept habe ich mir mal angesehen und mit den derzeitig gültigen Bestimmungen oder Gesetze verglichen. Ich starte mit der Seite 7 und beende es auf der Seite 12. Gelb hinterlegt sind im Kern oder am Rande neue Vorhaben. Rot hinterlegte Texte sind Bestandteile die es bereits gibt und nur ihren Namen wechseln. Ich habe jeweils positiv, neutral oder negativ bewertet (ist natürlich immer subjektiv).

Seite 7: neutral

„Für diejenigen, deren Jobs durch den technologischen Wandel wegfallen, schaffen wir darüber hinaus eine Qualifizierungsgarantie. Kern dieser Qualifizierungsgarantie ist der Anspruch auf Umschulung, sofern der Arbeitsplatz wegzufallen droht, gepaart mit der Absicherung durch eine Lohnersatzleistung.“ 

Qualifizierung oder ähnliches findet sich in § 81 SGB III – hier wird es um den Wegfall von Arbeitsplätzen durch den technologischen Wandel ergänzt.

„Deswegen werden wir auch das dritte Umschulungsjahr finanzieren.“

Aus Kann soll ein Muss werden. Siehe auch: https://www.arbeitsagentur.de/arbeitslosengeld-2/ausbildung-weiterbildung-umschulung

Seite 8: positiv

Wir wollen erstens einen Leistungsanspruch für Qualifizierung einführen, das Arbeitslosengeld-Q: Alle, die nach drei Monaten im ALG-I keine neue Arbeit gefunden haben, erhalten einen Anspruch auf eine gezielte Weiterbildungsmaßnahme und auf das damit verbundene Arbeitslosengeld-Q, das in der Höhe dem ALG I entspricht.“

Hier gilt auch § 81 SGB III Grundsatz mit dem Zusatz: Leistungsanspruch wird von Kann zu Muss.

Seite 9: neutral

Aus Hartz IV wird „Bürgergeld“

„Das „Recht auf Arbeit“ heißt für uns in diesem Zusammenhang, dass die Bürgerinnen und Bürger ein passgenaues Angebot auf Weiterbildung/Qualifizierung oder auch ein Angebot auf Arbeit erhalten. Dafür werden wir perspektivisch den sozialen Arbeitsmarkt ausweiten.“  

Das gibt bereits heute die Eingliederungsvereinbarung vor. 

„Zum Bürgergeld gehört für uns auch ein monatlicher Bonus für Weiterbildung.“ Was nicht näher definiert ist.

Positiv –> Neu

„Diejenigen, die arbeiten und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen, aber trotzdem auf ergänzende Leistungen angewiesen sind, sollen in Zukunft von der Bundesagentur für Arbeit betreut werden. Bislang gilt das nur für diejenigen „Aufstocker“, deren ALG I nicht ausreicht. In Zukunft sollen aber alle beitragszahlenden Erwerbstätigen bei der Bundesagentur für Arbeit betreut werden.“

Positiv –>Neu:

„Beim Übergang von ALG-I in das Bürgergeld muss die Lebensleistung besser anerkannt und geschützt werden. Der vorübergehende Bezug des Bürgergeldes darf sich nicht sofort auf den Wohnort auswirken oder Menschen zwingen, das Gesparte aufzubrauchen.“ 

„Wir wollen Menschen diese Sorgen nehmen und sie dabei unterstützen, sich auf die Arbeitsplatzsuche konzentrieren zu können. Deswegen werden wir bei denjenigen, die aus dem Bezug von ALG I kommen, für zwei Jahre Vermögen und die Wohnungsgröße nicht überprüfen. Wir wollen auch den Schutz von selbst genutztem Wohneigentum ausweiten und eine entsprechende Regelung für Mieter schaffen. Niemand, der auf den Bezug des Bürgergelds angewiesen ist, soll in dieser Zeit seine Wohnung verlassen müssen.“ 

„Gleichzeitig werden wir durch die Reform des Wohngeldes dafür sorgen, dass niemand nur aufgrund hoher Wohnkosten auf Bürgergeld angewiesen sein muss.“ 

Neutral:

„Das Bürgergeld wird Regelungen beinhalten, mit denen speziellen Bedarfen und Härten begegnet werden kann, zum Beispiel für den Fall, dass plötzlich die Waschmaschine kaputtgeht und gleichzeitig die alte Winterjacke aufgetragen ist.“ 

Bisher kann dieses nach § 42a SGB II in Form eines Darlehens gewährt werden. Es bleibt offen ob es bei dieser Form bleibt oder als Zuschuss gegeben wird. Es bleibt auch offen, ob es eine Kann-Bestimmung, wie bisher oder eine Muss-Bestimmung wird.

Seite 10: neutral – entspricht der Eingliederungsvereinbarung § 15 SGB II

Aus Eingliederungsvereinbarung wird „Teilhabevereinbarung“

„Die Teilhabevereinbarung orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen der Arbeitslosen. In ihr werden Maßnahmen und Angebote des Jobcenters festgehalten, die konkret zur Vermittlung in Arbeit führen sollen. Dazu zählen alle Maßnahmen der Qualifizierung, aber auch Coaching-Maßnahmen oder eine aufsuchende Unterstützung in schwierigen Lebenslagen. Sie enthält, wenn notwendig, Maßnahmen, die zunächst die soziale Teilhabe stärken und persönliche Probleme lösen, seien es gesundheitliche, Verschuldungsfragen, Obdachlosigkeit, etc.“

Neutral – entspricht der Eingliederungsvereinbarung § 15 SGB II, Aufklärung, Beratung und Auskunft sind u.a. in den §§ 13-15 SGB I hinterlegt.

„Dafür wollen wir die Jobcenter besser ausstatten, individuelle Begleitung und Ausrichtung fördern und die Beschäftigten für die neue, partnerschaftliche Arbeitsweise aus- und weiterbilden. Mit der Teilhabevereinbarung werden Arbeitssuchende über ihre Pflichten und ihre Rechte gegenüber dem Jobcenter und die umfassenden Möglichkeiten der Förderung und Begleitung aufgeklärt.“

Positiv: Ombudsstellen wurden bisher kommunal entschieden. Das Recht auf einen einmaligen Wechsel der Ansprechperson ist eine wichtige neue Regelung.

„Wir wollen neutrale Ombudsstellen als Anlaufstelle bei Meinungsverschiedenheiten schaffen und das Recht, einmalig die Ansprechperson zu wechseln, wenn die Zusammenarbeit nicht gelingt.“

Seite 11: Neutral § 1 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V. Diese bereits bestehende Regelung wurde mit der letzten Rechtsänderung des SGB II in 2016 eingeführt. Dabei liegt die Bagatellgrenze bei monatlich 10 Euro oder jährlich 120 Euro.

„Durch Anhebung der Bagatellgrenze wollen wir ökonomisch unsinnige Rückforderungen künftig vermeiden, die auf allen Seiten nur Ärger produzieren.“

Seite 12: Neutral

„Wir wollen Kinder aus dem SGB II-Bezug holen. Das SGB-System ist darauf ausgerichtet Erwerbssuchende zu betreuen und sie in Arbeit zu vermitteln. Beides trifft auf Kinder und ihre Bedürfnisse nicht zu. Sie brauchen kindgerechte, auf Bildung- und Teilhabechancen ausgerichtete Betreuung und Förderung. Dabei werden wir auch das bisherige Modell der Bedarfsgemeinschaften neu bestimmen und somit die Lebensentwürfe von Familien besser berücksichtigen.“

Es bleibt unklar, ob die Kindergrundsicherung auf Hartz IV als Einkommen angerechnet wird, wie bisher. Kinder gehören tatsächlich nicht in ein Jobcenter.