Ein eher ruhiges, aber doch häufiges Thema ist die ärztliche Begutachtung durch die Jobcenter oder durch die Arbeitsagenturen. Gerne angewandt, wenn wiederholte Krankmeldungen, bereits eine längere Erkrankung oder eine Behinderung vorliegen. Die Bundesagentur für Arbeit tritt in diesem Fall unterstützend auf und schreibt auf ihrer Webseite:

„Wenn Sie gesundheitliche Probleme haben, die sich auf Ihr Arbeitsleben auswirken, unterstützen wir Sie.“

Zum Ärztlichen Dienst heißt es:

„Aufgabe des Ärztlichen Dienstes“

„Wenn Ihnen gesundheitliche Probleme die Arbeitsuche oder die Arbeit erschweren, besprechen Sie dies am besten mit Ihrer Vermittlungs- oder Beratungsfachkraft der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters. Diese kann den Ärztlichen Dienst bitten, Sie zu begutachten. Dabei geht es ausschließlich um gesundheitlichen Beschwerden, die Sie so einschränken, dass Sie nicht oder nur in begrenztem Umfang einer Arbeit nachgehen können. Mit dem Ergebnis entscheiden die Fachkräfte dann gemeinsam mit Ihnen, wie Sie wieder in Arbeit kommen oder weiterarbeiten können. Das ärztliche Gutachten dient außerdem zur Beantwortung der Frage, ob Sie eine Förderung oder Geldleistung bekommen.“

Der Gesundheitsfragebogen vs. Freiwilligkeit

So weit, so gut. Einmal in die Wege geleitet, erhalten Betroffene ein „Informationsblatt zur Vorstellung im Ärztlichen Dienst“. Hierbei geht man bereits im ersten Satz davon aus, dass Sie selbst ihre gesundheitlichen Beschwerden mitgeteilt haben. Anschließend werden ein fünfseitiger Gesundheitsfragebogen sowie ein Wust an Schweigepflichtentbindungen ausgehändigt. Diese gelten für die behandelnden Ärzte, den Medizinischen Dienst der Krankenkasse, Gesundheitsamt, Rententräger und so weiter und so fort. Niemand wird vergessen. Eigene medizinische Daten oder das Empfinden von gesundheitlichen Einschränkungen sind persönliche Angelegenheiten und die Bundesagentur für Arbeit weist daraufhin, dass diese Daten ausschließlich zur Information für den Ärztlichen Dienst dienen und freiwillig sind:

„Wenn Sie den Gesundheitsfragebogen ausgefüllt haben, geben Sie ihn in einem verschlossenen Umschlag bei Ihrer Fachkraft ab oder senden ihn per Post zurück. Der Umschlag wird erst vom Ärztlichen Dienst geöffnet. Alle Ihre Angaben sind freiwillig und unterliegen dem Datenschutz.“ (Quelle: Webseite BA)

Gleichzeitig heißt es im Informationsblatt, dass nur wichtige Gründe gegen das Ausfüllen sprechen. Diese müssen der Sachbearbeitung dargelegt werden. Ohne wichtigen Grund gibt es kein Arbeitslosengeld I oder II oder nur in Bruchstücken.

Die Schweigepflichtentbindungserklärung vs. Freiwilligkeit

Und dann gibt es noch die Schweigepflichtentbindungserklärung. Hier verlässt die Bundesagentur für Arbeit ebenfalls das „Zwangsausfüllen“ und schreibt:

„Wir weisen darauf hin, dass Sie zur Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung grundsätzlich nicht verpflichtet sind (…)“.

Das „grundsätzlich nicht verpflichtet“ muss allerdings ebenfalls begründet werden. So heißt es:

„Sofern Sie zur Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung nicht bereit sind, sind hierfür wichtige Gründe (…) gegenüber Ihrer zuständigen Beratungs- und Vermittlungsfachkraft (…) dazulegen.“

Allerdings werden die „wichtige Gründe“ nicht näher erläutert. Für den Fall, dass eine Schweigepflichtentbindungserklärung nicht ausgefüllt werden möchte, können stattdessen „alternativ auch selbst bereits vorhandene Befunde vorgelegt“ werden, so das Informationsblatt weiter. Jobcenter und Arbeitsagenturen stützen sich bekanntlich auf Sozialgesetzbücher. Und kein Verwaltungsakt ohne Androhung von Sanktionen. In diesem Fall wird der §66 SGB I (Folgen fehlender Mitwirkung) herangezogen:

(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 6265 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

(2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.

(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

Anfrage Bundesdatenschutzbeauftragte und deren Ambivalenzantwort

Dieser „Freiwilligkeit“ bin ich nochmals nachgegangen und habe die „Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ schriftlich für eine Stellungnahme angefragt. Innert kürzester Zeit bekam ich eine ausführliche Antwort. Hier bestätigt sie, dass „zur Feststellung der Leistungs- bzw. Erwerbsfähigkeit ein sozialmedizinisches Gutachten durch den Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit erforderlich werden“. Nach Aufzählung der Mitwirkungsparagraphen nach dem Sozialgesetzbuch I und den wichtigen (namenlosen) Gründen kommt die Bundesdatenschutzbeauftragte zu den verschiedenen Möglichkeiten an der Prüfung gesundheitlicher Einschränkungen mitzuwirken:

  1. Schweigepflichtentbindungsklärungen der behandelnden Ärzte
  2. Einreichung eigener medizinischen Unterlagen
  3. persönliche Vorstellung / Untersuchung beim Ärztlichen Dienst

Unter deren Beteiligung, so schreibt sie weiter, wurde folgendes Verfahren mit der Bundesagentur für Arbeit abgestimmt:

  1. Ausfüllen des Gesundheitsfragebogen
  2. Ärzte von der Schweigepflicht entbinden
  3. Vorlage vorhandener Unterlagen / Befunde

Die Abgabe der Fragebögen, Schweigepflichtentbindungserklärungen und möglicher Befunde können dann im verschlossenen Umschlag direkt beim Jobcenter oder der Arbeitsagentur abgegeben werden. Möglich ist auch eine Abgabe direkt beim Ärztlichen Dienst und der gleichzeitigen Information darüber beim zuständigen Jobcenter oder der Arbeitsagentur, damit via internen elektronischem System, eine Beauftragung erfolgt. Freute ich mich über die schnelle Reaktion meiner Anfrage, so suchte ich verzweifelt das Wort der „Freiwilligkeit“ und die „Alternative zum Einreichen von eigenen Befunden“. Ich fand sie nicht. Für mich eine Ambivalenz in der Antwort der Bundesdatenschutzbeauftragte und den Aussagen der Bundesagentur für Arbeit. Immer im Kopf die drohenden Sanktionen. Eine Rückfrage bezüglich dieser Ambivalenz an die Bundesdatenschutzbeauftragte blieb bis heute unbeantwortet.

Aufklärungsversuch via DIE LINKE. im Bundestag

Nächster Schritt: Bundestag.

Über Katja Kipping (DIE LINKE) wurde eine schriftliche Frage an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eingereicht. Diese lautete:

Können die Bundesagentur für Arbeit bzw. die Jobcenter im Falle einer ärztlichen oder psychologischen Untersuchung auf eine Erklärung der Schweigepflichtentbindung seitens des Betroffenen mit Androhung und mit dem Vollzug einer vollständigen oder teilweisen Versagung oder Entziehung der Leistungen im Rahmen des Zweiten und im Rahmen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gemäß §66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch reagieren oder kann der Betroffene alternativ zur Erklärung der Schweigepflichtentbindung vorhandene medizinische bzw. psychologische Befunde oder Bundesagentur für Arbeit bzw. dem Jobcenter vorlegen, ohne damit die vollständige oder teilweise Versagung oder Entziehung der Leistungen fürchten zu müssen?

Neben der Aufzählung der fehlenden Mitwirkungspflicht und deren Leistungsversagung, erwähnt das BMAS die erhebliche Erschwernis zur Sachverhaltsaufklärung (eigene Anm.: Doppeluntersuchung), die dazu kommen muss, um Leistungen nicht auszubezahlen. Dabei haben die Jobcenter oder die Arbeitsagenturen einen Ermessensspielraum. Kurz gesagt: Selbst, wenn keine Mitwirkung vorliegt, treten die Sanktionen nicht automatisch ein. Es muss eine Einzelfallprüfung erfolgen. Weiterhin schreiben sie zur Schweigepflichtentbindungserklärung:

(…) Unterzeichnet eine leistungsberechtigte Person eine Schweigepflichtentbindungserklärung nicht, besteht auch die Möglichkeit, vorhandene medizinische oder psychologische Befunde für die weitere Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung zu stellen. (…)“

Bei weiterer hartnäckiger Verweigerung von nun doch weiteren gewünschten Schweigepflichtentbindungserklärungen durch ein Jobcenter oder Arbeitsagentur, ist „jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die Entbindung von der Schweigepflicht zumutbar ist (…). Hierbei sind die Gründe für die verweigerte Schweigepflichtentbindung zu berücksichtigen“.

Fasse ich zusammen:

Die Bundesagentur für Arbeit spricht von Freiwilligkeit, der Alternative des Einreichens von vorhandenen Befunden und der Angabe von wichtigen Gründen bei Verweigerung des Ausfüllens eines Gesundheitsfragebogens und der Schweigepflichtentbindungserklärungen. Dabei beziehen sie sich auf das Sozialgesetzbuch I, deren Mitwirkungspflicht und möglicher Leistungsversagung. Die Bundesdatenschutzbeauftragte verzichtet auf die Freiwilligkeit und den Alternative von eigenen Befunden. Das BMAS fordert eine Einzelfallprüfung vor Sanktionsdurchführung und erwähnt die Möglichkeit vorhandene ärztliche Befunde einzureichen. Fakt ist jedoch, dass mir in vielen geschilderten Fällen, Leistungen, wenn es nicht nach dem Willen der Jobcenter oder Arbeitsagenturen ging, komplett eingestellt werden. Auch, in den Fällen, wo ausreichende ärztliche Befunde, statt Schweigepflichtentbindungserklärungen eingereicht wurden. Auch, in den Fällen, wo zuvor wichtige Gründe (die hier ja wohl relativ scheinen) benannt wurden oder die Bereitschaft zur Untersuchung beim Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit explizit vorhanden war. Die Bundesdatenschutzbeauftragte sollte hier ihre Aufgabe wahrnehmen und klare Verhältnisse schaffen. Und nicht, wie laut Schreiben, die Freiwilligkeit oder Alternativen im Hinterzimmer mit der Bundesagentur für Arbeit unter dem Tisch fallen lassen. Weiterhin vertrete ich die persönliche Ansicht, dass der Zwang, unter scharfen Sanktionsandrohungen, zum Ausfüllen der Schweigepflichtentbindungserklärungen ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist. Insbesondere dann, wenn aussagekräftige Befunde eingereicht werden. Das muss genügen.