Immer wieder erscheinen in den Medien Berichte über groteske Entscheidungen in den Jobcentern. Beispielsweise die vor Kurzem erschienene Meldung in der „Welt“ „Mitarbeiterin sieht Hartz-IV-Empfänger betteln – Bezüge gekürzt“. Als ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin schüttelt man selbst darüber noch den Kopf; auch wenn man über die Jahre viel Absurdes live erlebt hat. Gleichzeitig ist man jedoch zum Teil den Vorwürfen ausgesetzt, wenn man Absurdes in den sozialen Netzwerken postet, dass man Mitarbeiter-Bashing betreibt. Ist es tatsächlich so? In einem offenen Brief an meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen schrieb ich mal:
„(…) Warum handelt ihr so, wie es der große Aufschrei durch die leidgeprüften Leistungsberechtigten zeigt. Ist es die reine Ausübung von Weisungen, ist es die eigene Angst vor Repressalien, ist es eine Ohnmacht, ist es Ignoranz oder ist es gewollt? Ich befürchte, es ist ein Mix von allem. Hier möchte nochmals ganz klar zum Ausdruck bringen, dass ich niemals von euch allen als Kollektiv gesprochen habe. Ich spreche von Kollegen, die Weisungen ausführen, ohne darüber nachzudenken, was sie tun.“
Und damit befinden wir uns nun an einem Knackpunkt. Interne Weisungen, bestehende Hartz-IV-Gesetze, eigene Vorstellungen der Führungskräfte sowie die persönliche Prägung der Jobcenter-Mitarbeiter stehen einem System gegenüber das eigentlich keine andere Aufgabe hat, als zunächst eine Grundsicherung zu gewährleisten. Sekundär erfolgt dann die Umsetzung des „Förderns und Forderns“, welche durchaus sehr individuell gestaltet wird und das Fordern oftmals signifikant im Vordergrund steht. Diese Individualität ist gezwungenermaßen an den Mitarbeitern gekoppelt. Spielt die eigene Persönlichkeit und deren Einstellung eine Rolle, liegt es auch am System, wie gut diese Mitarbeiter geschult sind.
Kürzlich gab es eine Umfrage durch den Vorstand an die Führungskräfte der Bundesagentur für Arbeit in den Jobcentern, Regionaldirektionen, Arbeitsagenturen sowie in der Zentrale. Neben dem Ankreuzen von vorformulierten Fragen gab es die Möglichkeit eigene Kommentare zu verfassen. Das wurde zahlreich genutzt. So heißt es in einem Kommentar der Jobcenter-Führungskräfte zur Ausbildung der Mitarbeiter:
„Wesentliche Versäumnisse sehe ich in der Ausbildung von Personal. Die punktuelle Schulung von Quereinsteigern ist durch eine Ausbildung bzw. durch eine (sic) Studium nicht zu ersetzen. Die komplexen Aufgaben in den gE (Anm. Gemeinschaftliche Einrichtungen – Jobcenter) sind nur durch vollumfänglich geschultem Personal – auch in übergreifenden Themen – zu bewältigen, da nur so die Zusammenhänge von (Fehl-) Entscheidungen erkannt werden können.“
Dass bei Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger durchaus (Sozial)- Pädagogen, Bürokaufleute, Versicherungskaufleute oder sonstige fachfremde Berufszweige vertreten sind, dürfte hinlänglich bekannt sein. Dass die Schulungen, je nach Region, sehr kurzweilig sind und bei weitem in wenigen Wochen keine Fachkraft für Arbeitsverwaltung ersetzen, ergibt sich von selbst. Damit sind Fehlentscheidungen vorprogrammiert und ich gehe sogar so weit, zu behaupten: Vorsätzlich programmiert. Gegenüber den Erwerblosen ist dieses äußerst fahrlässig und kann eine ganze Existenz vernichten. Liegt denn nun die Schuld bei den Mitarbeitern? Jein. Wer, wie im Fall des „Bettlers“ Feinfühligkeit und Empathie vermissen lässt, handelt unmenschlich – auch dann, wenn es das Gesetz vorschreibt. Hier wäre es empathischer gewesen einfach die Augen geschlossen zu halten. Auf der anderen Seite bestehen unendliche Ziele, die durch die jährlichen Zielvereinbarungen der Bundesagentur für Arbeit in die Jobcenter transportiert werden und umgesetzt werden müssen. Das Erreichen von Vermittlungszahlen, Maximalausgaben nicht zu überschreiten oder den Übergang von der Arbeitsagentur in die Jobcenter zu vermeiden sind Ausschnitte aus den Vorgaben. Dieser Druck wurde ebenfalls in der Führungskraft-Umfrage als Kommentar beschrieben:
„Nach wie vor gibt es ein ausuferndes Controlling und Quantität geht vor Qualität. Ein Beispiel: Wenn Jemand 11 mal im Kalenderjahr einen Kunden in eine prekäre Zeitarbeit vermittelt, ist er Leistungsträger der Organisation. Wer jedoch ermöglicht, dass ein langzeitarbeitsloser Kunde wieder den roten Faden in seiner Biografie findet und in eine nachhaltige Tätigkeit integriert wird, hat nur unterdurchschnittlich zum Erfolg beigetragen. Innerhalb der BA wird das Leitbild nur auf dem Papier gelebt. Kritik wird als Illoyalität verstanden und wird nicht weiter geleitet.“
Liest man sich nun diesen Kommentar durch, können wir auf das Ergebnis kommen: Der Fehler liegt im System. Dem stimme ich zu und trotzdem sehe ich eben auch die fatalen Fehlentscheidungen durch die Mitarbeiter. Mangelhafte Qualifizierungen, Dienst nach Vorschrift oder Macht ausleben bringen mich zur Forderung, dass die Angestellten oder Beamten der Bundesagentur für Arbeit und Kommunen persönlich für das eigene Handeln Verantwortung zu übernehmen haben, statt sich hinter Vorschriften und Anweisungen zu verstecken. Führen Arbeitsfehler in der freien Wirtschaft häufig zu einer Kündigung, fallen sie im öffentlichen Dienst weniger auf oder werden sogar akzeptiert, da die Quoten die Präferenz sind. Hier darf es nicht heißen nur eine „gute Quote“ zu erreichen und dem Controlling zu entsprechen. Jobcenter sind Dienstleister und haben sich auch als solche zu verhalten. Die hilflose und verzweifelte Wut von Erwerbslosen gegenüber willkürlich agierenden Jobcentermitarbeitern ist verständlich, und diese Fälle von Machtmissbrauch gehören ans Tageslicht. Dass damit die Gefahr besteht Jobcenter-Mitarbeiter pauschal ins negative Licht zu stellen, ist eine Folge daraus, dass Hartz IV grundlegend ein inhumaner Systemfehler ist und Alternativen erfolgen müssen. Neben zunächst einer sanktionsfreien erhöhten realistischen Mindestsicherung, exzellent fachlich geschulter empathischen Mitarbeitern muss das mittel- bis langfristige Ziel ein Bedingungsloses Grundeinkommen sein, um dem jetzigen Controllingwahn und der Drangsalierung ein Ende zu setzen.